Toedliches Fieber
blickte.
Er wusste, wohin er wollte. Obwohl es dort nicht sicher war, gab es keinen Ort, an dem er lieber gewesen wäre.
Als der Apollotempel vor ihm auftauchte, wusste er, dass er sein Ziel fast erreicht hatte, und hob den Blick. Die Marmorsäulen glänzten im Licht und blendeten ihn. Auch die Mauern, die den Tempel umgaben, schimmerten. Hatte er etwa doch noch Fieber? Er legte prüfend die Hand auf die Stirn. Sie war warm, aber nicht heiß. Außerdem zitterte er nicht und hatte auch keine Schmerzen.
Sethos lief weiter auf den Tempel zu. Ein sonderbarer Glanz in allen Regenbogenfarben erhob sich in der Ferne über der Straße – offenbar eine Luftspiegelung. Wenn er langsamer lief, war das Phänomen weniger stark. Dennoch nahm er sein Tempo wieder auf, bis er an dem Tempel vorbeilief und die sonnengetupfte grüne Wiese dahinter erkennen konnte. Sein Magen verkrampfte sich. Es war alles wie vorhin: der weiche Rasen mit den wilden Sommerblumen. Die großen Bäume warfen lange Schatten, gesprenkelt mit Sonnenschein.
Er lief weiter, zu ihrer Eiche.
Doch sie war nicht da. Die Wiese war verlassen. Es war totenstill, nicht einmal die Vögel sangen. Um ihn herum war nur Grün, Grün in verschiedenen Schattierungen. Seth kauerte sich unter den Baum, berührte die Rinde, das Gras, den Erdboden, alles, was ihn mit ihr in Verbindung brachte. Doch von ihr war nichts geblieben.
Er wanderte unruhig umher und versuchte, sich die wenigen gemeinsamen Augenblicke in Erinnerung zu rufen. Doch das einzige Bild von ihr, das er immer vor Augen hatte, wardas letzte. Er wollte es nicht wahrhaben, es nicht akzeptieren. Schließlich setzte er sich unter den Baum und weinte. Er hatte das Gefühl, seine Einsamkeit hielt ihn wie eine Eisdecke umhüllt.
Er musste geschlafen haben, denn es dämmerte bereits, als er die Augen wieder öffnete. Seine Knochen schmerzten von dem harten Boden. Seth stand auf und sah sich um. Es war, als würde sich die Wiese um ihn herum neu bilden. Er schaute einfach nur zu. Alles fand seinen Platz und verharrte. Dann drehte er sich ruckartig um, weil er das Phänomen beobachten wollte, und richtig – als er den Blick über die Wiese schweifen ließ, schienen die Bäume einen Augenblick zu schimmern, bis sie wieder ihre gewohnte Gestalt annahmen. Langsam ging er zum Tempel zurück und machte eine Pause an einer glitzernden Marmorsäule. Er streckte die Fingerspitzen danach aus. Sie war massiv und glatt. Sein Blick wanderte weiter in den schattigen Säulengang: Auch er war menschenleer.
Sethos wandte sich wieder der Straße zu. Als er an dem riesigen Kasernentor angelangt war, war es endgültig dunkel geworden. Er wusste nicht, warum er ausgerechnet in sein Gefängnis zurückgekehrt war. Der reinste Selbstmord … Aber vielleicht war genau das der Grund? Schließlich hatte er seinen Lebenszweck verloren.
Er drückte die schweren Holztore auf und durchquerte die Übungsarena, ohne sich zu verstecken. Mittlerweile war es ihm egal, ob ihn jemand entdeckte. Doch wieder folgte ihm niemand. Er schaute in seine Zelle, wo jedoch alles noch genauso war, wie er es hinterlassen hatte. Seth war sichschmerzhaft seines eigenen Atemgeräusches und seines Herzschlags bewusst. Normalerweise gingen diese Geräusche hier unter, weil Männer sich stritten, Ketten klirrten oder Wächter zuschlugen.
Er streifte durch die Zellen der Gladiatoren – allesamt leer. Dann ging er zu den Quartieren der lanista . Auch sie waren verlassen. Üblicherweise arbeiteten die Sklaven hier Tag und Nacht. Sie kochten, putzten, hämmerten … Jetzt konnte Seth dieses Gebäude erstmals frei erkunden.
Es war sehr viel besser ausgestattet als die Zellen der Gladiatoren. Die Räume waren groß, die Böden gefliest und in der Küche gab es Obst, Brot und Wild am Haken. Auf dem Herd schmorte sogar ein Eintopf. Seth merkte auf einmal, wie hungrig er war, nahm sich eine Schale und füllte sie. Bei dem Duft lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Auf der Suche nach etwas Trinkbarem bemerkte er einen Krug mit Honigwein auf dem Tisch. Er schenkte sich einen Becher ein und trank einen großen Schluck. Dann trug er die Schale, den Becher und den Krug in seine Zelle. Nach dieser leckeren Mahlzeit legte er sich auf seine Matratze und versuchte zu schlafen. Doch es war viel zu still. Er wollte dem einzigen Geräusch – seinem dumpfen Herzschlag – nicht lauschen, weil es ihn quälend daran erinnerte, dass er lebte, während sie tot war.
War diese
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