Toedliches Geheimnis
muss ein paar Stunden gemeinnützige Arbeit leisten, oder kommt unser kleiner Fiesling hinter Gitter?«
»Vielleicht keins von beidem. Das lässt sich jetzt noch nicht sagen.«
»Ich wette, es wird noch viel schlimmer für ihn, wenn es Debbie nicht bald besser geht«, meint Wes.
Ich nicke, da hat er recht. Wie sich herausgestellt hat, wurde Debbie gar nicht verfolgt, aber ihre sogenannten Freunde fanden es witzig, so zu tun, als wäre jemand hinter ihr her. Sie waren diejenigen, die ihr Zettel ans
Schließfach geklebt und ihr das alles eingeredet haben, bis sie völlig durchgedreht war. Anscheinend waren auch genau diese Freunde für viele der Schmierereien in der Schule verantwortlich, auch für die auf unserem Schul-Maskottchen. Debbie hatte einen Verfolgungswahn entwickelt und war zutiefst überzeugt, dass ständig einer hinter ihr her war. Auch wenn das gar nicht stimmte.
Ein Zeuge hat sich gemeldet, der sagte, er hätte sie in der Nacht des Unfalls nach Hause gehen sehen. Er sagte, sie hätte sich immer wieder umgedreht und nicht richtig aufgepasst, wo sie hinging. Er hätte sogar versucht, ihre Aufmerksamkeit zu erregen, weil sie immer wieder auf die Straße stolperte. Der Typ dachte, sie wäre betrunken, aber man hat später nichts in ihrem Blut feststellen können - es war einfach nur ihr Verfolgungswahn. Sie wurde dann von einem Auto angefahren, nicht von einem Motorrad.
»Ehrlich«, sagt Kimmie, »hättest du es jemals für möglich gehalten, dass Matt derjenige war, der dir diese Fotos geschickt hat? Ich meine, wer hätte gedacht, dass er so ein Perversling ist? Und siehst du, ich hab dir doch gleich gesagt, dass das mit Rena Maruso eine Lüge war. Einem Mädchen wie mir würde doch so ein spektakulärer Coup nicht entgehen.«
Ich zucke die Schultern und denke an die guten Zeiten mit Matt, als wir noch bei Press & Grind zusammen Kaffee getrunken und Französisch gelernt haben, und daran, wie bösartig er dann geworden ist im Wohnwagen von seinen Eltern, wo er mich sogar mit Beruhigungsmitteln
betäubt hat, die er mir ins Wasser gemischt hat.
»Und wie sieht es jetzt aus zwischen dir und Mr Benissimo?«, fragt Kimmie.
»Ahne ich da ein Rollenspiel mit Superhero-Kostümen und massenweise Körperbutter?« Wes leckt seinen Eislöffel genüsslich ab.
»Wenn wir schon von Spielen mit Körperkontakt reden«, bemerkt Kimmie, »ist das nicht megaheiß, dass Ben nur, indem er deine Skulptur berührt hat, erkennen konnte, dass Matt der gesuchte Irre war?«
Ich lächele still in mich hinein und denke über die Ironie des Ganzen nach. Dass ich mir immer so viel Mühe gegeben hatte, meine Arbeit zu kontrollieren, damit sie meinen selbst gesetzten Idealvorstellungen entsprach. Aber erst als ich meinem Instinkt gefolgt war und mich von meiner Kunst habe leiten lassen, war etwas wirklich Großes entstanden. Etwas fühlbar anderes.
Nachdem ich verschwunden war, ist Ben zu Earth & Fire gegangen auf der Suche nach dem Stück, an dem ich zuletzt gearbeitet hatte. Spencer hat ihm meine AutoSkulptur gezeigt. Ben hat sie berührt und ist den Abdrücken meiner Finger gefolgt, in denen er noch immer Spuren von mir spüren konnte.
Schon nach ein paar Minuten konnte er fühlen, dass Matt derjenige war, der hinter mir her war. Und dann hat er ihn verfolgt bis zu dem Wohnwagen, in dem ich festgehalten wurde. Sobald er auf den Campingplatz kam, war er sicher, dass da etwas nicht stimmte, und hat die Polizei verständigt.
»Es scheint, als hätte meine Skulptur diesmal wirklich einen Puls«, sage ich.
»Mehr als einen Puls, Süße«, sagt Kimmie. »Das Ding muss auch Hirn, Atem und Herzschlag haben.«
»Und was glaubst du, worüber Ben mit dir reden will?«, fragt Wes.
Ich schüttele den Kopf und schaue zur Seite, weil ich nicht weiß, wie die Dinge zwischen uns stehen und ob er überhaupt mit mir reden will. Er war zwar einverstanden, sich heute mit mir zu treffen, aber ansonsten hat er sich jetzt, nachdem ich in Sicherheit bin und seine Aufgabe vielleicht erledigt ist, eher distanziert gezeigt.
»Na ja, ich schätze mal, das werden wir bald rausfinden.« Kimmie deutet zur Tür hinüber.
Dort steht Ben. Er sieht noch umwerfender aus als sonst - vom Wind zerzauste Haare, gebräunte Haut und ein Hauch von Bartstoppeln im Gesicht, so als wäre er gerade erst aufgewacht.
Er winkt, und ich gehe zu ihm hinüber.
»Hey«, sagt er und lächelt zögernd.
»Hi.« Ich lächele zurück.
Aber dann verschwindet sein Lächeln.
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