Tödliches Rätsel
als er Mistress Flaxwiths Namen hörte.
»Ja…?« fragte Cranston honigsüß.
»Die Lady Ursula…« Flaxwith schluckte heftig. »Sie liebt die Freuden des Fleisches nicht.«
Cranston dachte an die glücklichen Schäferstündchen, die er selbst mit seiner Gemahlin Lady Maude verbracht hatte, und klopfte dem Mann mitfühlend auf die Schulter.
»Also, besuchen wir Dame Broadsheet. Wollen sehen, was sie uns über unsere jungen Schreiber zu erzählen hat.«
»Das sollte ich doch tun«, murrte Flaxwith, während sie losgingen.
»Nun, Henry« — Cranston gab ihm einen scherzhaften Rippenstoß — , »ich werde dafür sorgen, daß du mit mir wieder hinausgehst. Ach, übrigens — ich wünsche immer noch, daß du Erkundigungen über Master Draytons Schreiber einziehst, über Stablegate und Flinstead. Wo haben sie die Nacht verbracht, in der ihr Herr ermordet wurde? Es wird dir Spaß machen, die Gasthäuser zu besuchen, und Samson auch.«
Der Mastiff drehte den Kopf und fletschte die Zähne mit leisem Knurren. Cranston lächelte taktvoll, und so wanderten sie durch Holborn und an der Cock Lane vorbei, die noch immer von den königlichen Bogenschützen abgesperrt wurde; durch die alte Stadtmauer gelangten sie nach Newgate. Die Fleischerstände waren abgeräumt, aber der Gestank von Blut und Innereien versetzte Samson dennoch in Erregung. Er japste und zerrte an der Leine, um nach diesem oder jenem Leckerbissen zu schnappen. Cranston erkannte einen Beutelschneider, der zwei alte Damen nach St. Mary Le Bow folgte, wo die Glocken zur Komplet läuteten und im Glockenturm schon das Leuchtfeuer brannte. Cranston packte den wieselgesichtigen Knaben beim Kragen, gab ihm eine Kopfnuß und schickte ihn seiner Wege.
»Weißt du, Henry«, sagte der Coroner und blieb vor der dunklen, abweisenden Masse des Gefängnisses von Newgate stehen, wo sich die Leute drängten, die ihre Freunde dort drinnen besuchen wollten. »Wenn meine Abhandlung über die Verwaltung dieser Stadt vom Regenten akzeptiert würde, dann ließe ich an jeder Straße Fackeln anzünden.«
Er deutete zum Schafott, wo die Leichen von vier Verbrechern, die an diesem Tag gehenkt worden waren, mit Teer und Pech bestrichen wurden. Danach würde man sie an Ketten vom Galgen baumeln lassen, ehe man sie hinausbrachte und zur Warnung an einem Kreuzweg vor dem Stadttor aufhängte. Die beiden Henker pfiffen vergnügt bei ihrer Arbeit. Hin und wieder schnippten sie Teerklümpchen zu den gelbhaarigen Huren hinüber, die sich um das Schafott drängten. Sie hatten kein Gefühl für den Jammer der Freunde und Verwandten der Gehenkten, die geduldig abwarteten, wo ihre Lieben nachher hängen würden.
»Was wolltet Ihr sagen, Sir John?« fragte Flaxwith.
»Das alles würde ich abschaffen«, knurrte Cranston. »Komm weiter!«
Das Etablissement der Dame Broadsheet stand in einer schmalen, stillen Gasse, eine dreigeschossige Villa auf eigenem Grundstück. Im Erdgeschoß war eine Ale-Schenke, über deren Tür ein Busch hing. In den oberen Geschossen befand sich das, was Dame Broadsheet ihre »Kapelle der Erholung« nannte. Hier konnten ihre Kunden mit den süßesten Dirnen von London zusammentreffen.
Flaxwith band Samson draußen fest und schärfte ihm ein, ein »braver Junge« zu sein. Der Hund hatte die Schnauze voller Fleischabfälle, die er aufgeschnappt hatte, und winselte nur.
Die Schankstube war still und sehr behaglich. Die Decke war hoch, und die Binsen auf dem Boden waren sauber und weich. Richtige Schemel umstanden die Tische, nicht umgestürzte Fäßchen. Wein-und Bierfässer standen sauber aufgereiht an einem Ende, Schinken und Beutel mit Zwiebeln hingen an den Deckenbalken, und Körbe mit Blumen schmückten die Fensterbänke. Am süßen Duft, der aus der Speisekammer drang, erkannte Cranston, daß Dame Broadsheets französischer Koch bei der Arbeit war. Er schmatzte mit den Lippen und klopfte sich auf den Bauch, aber er blieb noch im Schatten des Eingangs und schwelgte in dem, was er hier hörte und sah. Flaxwith stand hinter ihm, die Hand auf dem Dolch. Dame Broadsheets Haus war bekannt als Absteige für die Straßenräuber und Strauchdiebe der Stadt; Sir John würde hier kein willkommener Gast sein.
Cranston überlegte, ob er einen großen Auftritt veranstalten sollte oder ob er besser schleunigst durch die Schankstube und die Treppe hinauf eilte. Er entschied sich für das letztere, schaute sich aber erstmal in der Schankstube um. Viele der Gesichter waren ihm
Weitere Kostenlose Bücher