Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tödliches Rätsel

Tödliches Rätsel

Titel: Tödliches Rätsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul C. Doherty
Vom Netzwerk:
bekannt: Diebe, Betrüger, Fälscher, verschlagene Weiber, berufsmäßige Bettler, abgehärtete Schläger, aber auch junge Männer, die sich vorgenommen hatten, bis zum ersten Hahnenschrei ausgelassen zu feiern. Und sie waren umzingelt von den Damen der Nacht: keine gewöhnlichen Huren oder Dirnen, sondern, wie Dame Broadsheet erklärte, »vornehme Ladys, die wissen, wie man einen Gentleman erfreut«. Der Coroner hatte beschlossen, im Sturm die Treppe zu nehmen, als unvermittelt eine Stimme rief:
    »Oh, zur Hölle, da ist John Cranston!«
    Die Knaben, die Rebeck, Flöte und Tambourin spielten, ließen ihre sanfte Musik jäh abbrechen. Das Geplauder erstarb. Cranston stolzierte breitbeinig in die Mitte des Raumes, zog sich die Bibermütze vom Kopf und verbeugte sich auf das spöttischste.
    »Meine reizenden Burschen und Mädchen, guten Abend. Jack Cranston macht euch seine Aufwartung.«
    »Verpiß dich!« schrie jemand.
    Cranston machte sich nicht die Mühe, sich umzudrehen. »Ned, nicht wahr? Ned, der Zeichner? Ich an deiner Stelle würde die Klappe halten, denn sonst, Ned, mein Junge, werde ich morgen einen Haftbefehl gegen dich erlassen, und zwar wegen Aufsässigkeit gegen einen Beamten des Königs. Also!« Cranston schob die Daumen hinter seinen Schwertgurt. »Seid nicht grausam zum alten Jack. Ich habe Henry Flaxwith hier, und draußen steht ein Dutzend seiner stämmigen Kerle. Von Samson, seinem Hund, gar nicht zu reden. Ihr kennt doch Samson, nicht wahr? Nirgends nagt er so gern wie an einer saftigen Wade.«
    »Ihr habt keinen Grund, so zu reden, Sir John.«
    Eine Dame kam die Treppe herunter. Ein silbergesäumter Leinenschleier bedeckte das wohlgelockte Blondhaar. Ihr Kleid war von einem dunklen Burgunderrot, und eine goldene Kette umschlang die schmale Taille. Ihre Bewegungen waren langsam und fließend, und sie hielt das Haupt hocherhoben wie eine junge Edelfrau und nicht wie die Herrin eines Hauses von üblem Leumund. Die Haut ihres Gesichts war glatt, beinahe golden, und die Augen waren groß und lächelnd. Der Mund aber verriet sie: scharfe, dünne Lippen, leicht höhnisch verzogen.
    Cranston verbeugte sich erneut. »Mistress Broadsheet, wie schön, Euch zu sehen.«
    »Dieses Kompliment würde ich zu gern zurückgeben, Sir John.«
    Cranston bemerkte, daß sie plötzlich die Stimme hob. Es sah aus, als wolle sie die Treppe nicht weiter herunterkommen; sie blieb stehen, die Hand auf dem Geländer.
    Sir John straffte den Rücken. »Ich bin also willkommen hier?«
    »Selbstverständlich, Sir John. Ihr seid der Coroner der Stadt. Mein Haus ist Euer Haus...«
    Mehr brauchte er nicht zu hören. Mit zwei Sätzen war er unten an der Treppe, drängte sich an ihr vorbei und lief hinauf. Über sich hörte er gedämpfte Schritte. Trotz seines Gewichts und seiner Müdigkeit stürmte Sir John flink wie ein Affe die nächste Treppe hinauf — so schnell, daß er fast mit dem Mann zusammengestoßen wäre, der dort stand. Der hakenbewehrte Bolzen auf der gespannten Armbrust zielte geradewegs auf Sir Johns Herz. Cranston blieb stehen und starrte in das lächelnde Gesicht des jungen Mannes, der ihn an Athelstan erinnerte: sanfte Augen und olivfarbene Haut unter einem dunklen, glänzenden Haarschopf.
    »Ja, da soll doch... der Vikar der Hölle!« Cranston musterte den jungen Mann von Kopf bis Fuß. Er war wie üblich in schwarzes Leder gekleidet. Hinter ihm stand eine junge Frau, in ein Laken gehüllt, die dem Coroner besorgt entgegenspähte. »Geh zurück in deine Kammer, meine Süße!« rief Cranston und tastete nach seinem Dolch.
    »Aber, aber, Sir John...« Der junge Mann schob sich näher. »Ihr wollt doch wohl keine Dummheit begehen?«
    »Ich will dich haben«, knurrte Cranston.
    »Wollen und bekommen sind zwei verschiedene Dinge, Sir John.«
    Der Vikar der Hölle hob seine Armbrust. Sir John fuhr zurück, aber statt den Bolzen schwingen zu lassen, versetzte ihm der Vikar einen heftigen Stoß, so daß er rückwärts die Treppe hinunterpolterte.
     

 
     
    Sir John Cranston, Coroner der Stadt London, kochte vor Wut. Er war krachend die Treppe hinuntergeworfen worden, aber sein Stolz war dabei schlimmer verletzt worden als seine Knochen. Der Vikar der Hölle war natürlich hurtig wie ein Eichhörnchen die Galerie ent-lang gehuscht und durch ein Fenster verschwunden. Sir John wußte, daß es sinnlos war, ihn zu verfolgen.
    Jetzt stand er wütend in der Schankstube. Alle Gäste hatten voller Angst vor dem brüllenden

Weitere Kostenlose Bücher