Tödliches Rendezvous - Maxian, B: Tödliches Rendezvous
Journalistin und keine Dichterin.«
» Jeder Mensch hat Schwächen.«
» Komm jetzt«, befahl Kunz und drückte Sarah die Redaktionspost aus dem Nachrichtenfach in die Hand. Sarah war freie Journalistin und musste sich ihre Lorbeeren erst noch verdienen, um einer fixen Redaktion zugeteilt zu werden. Im Moment arbeitete sie abwechselnd für die Ressorts Kultur, Gesellschaft, Allgemeines und Nachrichten. Meistens verfasste sie Berichte über kleinere Veranstaltungen – solche, die für andere Kollegen uninteressant waren – und tippte Berichte über unspektakuläre Ereignisse, forstete APA-Meldungen nach Interessantem durch, tat, was man ihr auftrug. In den letzten Wochen hätte sie vermehrt Hilde Jahn zuarbeiten sollen. Aber die Enthüllungsjournalistin arbeitete lieber allein und teilte Sarah nur in Ausnahmefällen Arbeit zu: Kaffee holen, Telefonnummern raussuchen, Friseurtermine ausmachen. Aufgaben, die normalerweise in Minuten erledigt waren und nichts mit Journalismus zu tun hatten.
In Ermangelung von Arbeit war es schon einmal vorgekommen, dass Sarah die beiden Vorzimmerdamen vertreten hatte.
Sarah Pauli, das Mädchen für fast alle im Haus.
Jeden Montag um zehn Uhr berief David Gruber, der Herausgeber und Boss des Wiener Boten, eine große Redaktionssitzung ein. Den Rest der Woche besprachen sich die Journalisten intern mit ihren Ressortleitern.
Zu spät zu kommen brachte Minuspunkte, es hatte sie schon einmal den Job gekostet. Damals hatte sie Tag und Nacht mit Chris für seine Matura gelernt. Sarahs Eltern waren ein Jahr zuvor bei einem Autounfall ums Leben gekommen, und ihr acht Jahre jüngerer Bruder war zu ihr gezogen. Natürlich hatte er nach dem Tod ihrer Eltern Schwierigkeiten in der Schule gehabt. Dort wurde jedoch auf diese Umstände keine Rücksicht genommen. Bevor das Schulsystem auf die Schüler achtet, schneit es im August, hatte schon ihre Mutter gesagt. Chris hatte es dennoch geschafft und die Matura bestanden – und Sarah verlor ihren damaligen Job bei einem Wochenmagazin. Inzwischen studierte Chris Medizin und wohnte noch immer bei ihr.
Sarah schüttelte ihr dunkelbraunes schulterlanges Haar, schob eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht, gähnte und warf einen kurzen Blick auf die Briefe in ihren Händen. Auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches. Während sie dem Chef vom aktuellen Dienst in den großen Besprechungsraum folgte, sortierte sie grob die Post nach Namen. Eine ihrer Aufgaben war es, Einladungen, Pressemitteilungen und Briefe den zuständigen Journalisten zu übergeben. Eine allgemeine Meldung der APA segelte auf den Boden. Sarah bückte sich, hob den Zettel auf.
» Wow«, entfuhr es ihr. » Hast du gewusst, dass die Zahl der Arbeitslosen um 20 Prozent gestiegen ist?«
» Wenn du dich nicht beeilst, können die noch ein halbes Prozent dazurechnen«, brummte Herbert Kunz.
» Heute bist du aber wieder voll positiver Energie, mein Lieber.«
» Ja, ich hab den bösen Blick, Sarah.«
» Jugendliche und ältere Arbeitnehmer sind besonders betroffen. Vor allem weibliche Arbeitnehmer.«
» Was?« Herbert Kunz blieb stehen, wandte sich ihr zu. Er hatte schon nicht mehr zugehört.
» Da.« Sie hielt ihm die Pressemeldung unter die Nase. Aber er schenkte dem Blatt Papier keine Beachtung.
» Sag ich doch, und die Nächste bist du. Jetzt komm! David wartet nicht gern.«
Im Vorbeigehen holte sich Sarah einen Becher Kaffee aus dem Automaten. Kunz ging voraus. Sarah betrat zeitgleich mit David Gruber das bereits volle Sitzungszimmer. Der Wiener Bote beschäftigte rund 250 Mitarbeiter, Onlineredakteure, freie Journalisten und Verwaltungspersonal mitgerechnet.
Gruber war Anfang 40, groß gewachsen und hatte eine sportliche Figur.
» Er joggt regelmäßig«, hatte ihr Gabi, seine Sekretärin, verraten.
Silberne Fäden durchzogen sein dunkles Haar. Sein Wesen passte ebenfalls zu dem, was man seinem Sternzeichen Widder nachsagte. Er war ungeduldig, stur, selbstbewusst. Geduld und Einfühlungsvermögen gehörten nicht zu seinen Stärken. Ein Carneol würde ihm mehr Wohlgefühl und Naturverständnis geben. Aber Gruber war nicht der Typ Mann, dem man einfach so einen Heilstein schenken konnte.
Sarah mochte ihn. Er hatte sie eingestellt. Ihr keine leeren Versprechungen gemacht, sie immer fair behandelt.
Die Ressortleiter und mehrere Journalisten der Abteilungen Sport, Kultur, Freizeit, Gesundheit und Wirtschaftsteil waren anwesend. Das Gesellschaftsressort fehlte.
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