Töten ist ganz einfach: Thriller (German Edition)
hohen Stuhl mit einer Gestalt darauf.
„Was ist das?“, flüsterte Anna. Noch ehe Braun antworten konnte, zerriss erneut eine Serie von Blitzen den schwarzen Himmel. Überdeutlich, wie unter den grellen Scheinwerfern eines Fotostudios, erkannten sie jetzt Tatjana Drakovic, die gefesselt auf dem Stuhl saß. Ihr rotes Kleid war zerfetzt, die schwarzen Haare hingen nass und strähnig herunter, ein breites Klebeband fixierte ihren Kopf an der Lehne, sodass ihr weißer Hals ungeschützt und offen lag. Dahinter, im Halbschatten des Torbogens, stand Szabo und schwenkte eine funkelnde Scheibe in der Luft umher, so als würde er Blitze darauf bündeln und wieder zurück in die Dunkelheit schleudern.
Ohrenbetäubender Donner hallte von den Mauern wider, dann wieder eine Serie von Blitzen und jetzt bemerkte Braun auch die Gestalt auf der anderen Seite – Igor Drakovic, der eine Pistole in der Hand hielt und auf Szabo zielte. Im Schein der Laterne sah Braun das höhnisch verzerrte Gesicht von Szabo, der die blitzende Scheibe jetzt direkt unter Tatjana Drakovics Kinn hielt. Diese versuchte hektisch ihre Position zu verändern, um der tödlichen Bedrohung zu entkommen.
Er handelt total nach Plan, nach einem wahnsinnigen Masterplan, dachte er. Der Betstuhl mit Tatjana Drakovic war der perfekte Schutz vor einer Kugel, Szabo hatte wirklich an alles gedacht. Das erkannte jetzt auch Igor Drakovic, der resignierend seine Waffe senkte und zum ersten Mal in seinem Leben ratlos wirkte. Diesmal bestimmte nicht Igor Drakovic den Handlungsablauf, sondern er war ein machtloser Akteur in einer tödlichen Inszenierung.
Ringsum zuckten Blitze, der Regen wurde vom Wind gegen die Mauern getrieben, im Hintergrund tobte der Donner.
„Du hast meine Familie ausgelöscht! Jetzt lösche ich deine Familie aus!“, hörte Braun das heisere Gebrüll von Szabo. „Erinnerst du dich an das Mädchen in dem Cosmic-Dancer-T-Shirt, damals in dem Dorf bei Kijevo?“
„Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst!“ Verständnislos schüttelte Igor Drakovic den Kopf.
„Du erinnerst dich nicht mehr an das Mädchen, das du gefickt hast? Du erinnerst dich nicht mehr an das Mädchen, dem du dann eine Kugel durch den Kopf geschossen hast?“, brüllte Szabo weiter, außer sich vor Hass.
„Ich habe es wohl vergessen! Damals ist so viel passiert, es war eine gesetzlose Zeit!“, antwortete Drakovic und zuckte betont gleichgültig mit den Schultern. „Was willst du – Geld?“
„Ich brauche dein Geld nicht! Hier ist der Obolus für die Überfahrt!“, kreischte Szabo mit überkippender Stimme und riss Tatjana Drakovic an den Haaren zurück. „An diese Inszenierung wirst du dich erinnern, Igor Drakovic!“
Blitzschnell hob er den Arm, die glänzende Scheibe wischte über Tatjana Drakovic Gesicht und hinterließ einen tiefen Schnitt auf ihrer Wange.
„Aufhören! Aufhören!“, brüllte Igor Drakovic und lief mit der Pistole im Anschlag auf Stefan Szabo zu. Doch dieser schüttelte sich hysterisch vor Lachen.
„Wenn du noch näher kommst, schneide ich ihr die Ohren ab, dann die Nase und schäle ihr die Haut von den Wangen! Ich zerstückle sie bei lebendigem Leib!“, schrie Szabo und ließ den blitzenden Deckel kreisen.
Im Licht eines grellen Blitzes konnte Braun erkennen, dass die Wunde auf der Wange von Tatjana Drakovic heftig blutete, und er wusste, dass Szabo keine Sekunde zögern würde, seine Drohung in die Tat umzusetzen.
Schnell überschlug Braun seine Möglichkeiten. Er konnte Szabo nicht überwältigen, ohne Tatjana Drakovic zu gefährden. Auch ein gezielter Schuss war unmöglich, da ihm die Marienstatue und die wuchernden Palmen die Sicht teilweise verdeckten.
„Ich halte das nicht länger aus!“, rief Anna und schlug sich verzweifelt die Hände vor ihr Gesicht. „Wir müssen etwas unternehmen!“
„Warte!“, befahl Braun und hielt sie an der Schulter zurück. Beide starrten regungslos und gebannt auf Igor Drakovic, der die Pistole in das Gestrüpp warf und langsam auf die Knie sank.
„Mein Leben gegen das Leben meiner Tochter! Ich opfere mich für meine Tochter“, schluchzte er und robbte wie ein altes Betweib über den Boden langsam auf Szabo zu.
„Bitte!“, flehte Igor Drakovic. „Töte nicht meine Tochter! Töte nicht auch noch das letzte Mitglied meiner Familie! Töte mich!“
„Ich will dich nicht töten! Das ist ein Irrtum! Du sollst leben!“, schrie Szabo und wurde erneut von hysterischen Lachanfällen geschüttelt.
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