Töten ist ganz einfach: Thriller (German Edition)
sein Ziel erreicht, Stanislaus Lange mit Hilfe des Boulevards um seinen lukrativen Posten zu bringen, aber in den oberen Polizeikreisen nahm man ihm das ziemlich übel. Doch bevor es zu irgendwelchen Disziplinarmaßnahmen kam, wurde EUROPOL auf ihn aufmerksam und lud ihn zu verschiedenen Screenings ein.
Daran musste er denken und auch daran, dass Anna Lange „Schwein!“ geschrieen hatte, als er ihr zum ersten Mal begegnete. „Schwein! Du hast unsere Familie zerstört!“ Sie stand kurz davor zu explodieren und das imponierte ihm, dafür beneidete er sie, dieses Kämpfen für ein bisschen Glück, für Geborgenheit, für Sicherheit, wie sie eben nur eine Familie bieten konnte. Vielleicht spielte er gerade deshalb damals den coolen, den abgebrühten, den unbestechlichen Polizisten und warf sie aus seinem Büro.
Jetzt begegnete er ihr wieder und sie hatte sich nicht verändert, wie damals war sie überaus originell gekleidet und von einer eigenwilligen Schönheit, die erst dann zum Vorschein kam, wenn sie ihren Emotionen freien Lauf ließ und sich nicht ständig kontrollierte.
Nachdem sich beide wieder beruhigt hatten, setzten sie sich an den Ameisentisch und Anna erzählte ihm von dem Job für Royal International und – nach einer bedeutungsvollen Pause – auch davon, dass von dem Auftrag der Bestand ihrer Agentur abhing. Irgendwie froh, sich alles von der Seele geredet zu haben, gab sie Braun zum Abschluss noch einen Kuss auf die Wange, wie es eben unter Kreativen üblich war. An den wackeligen Empfangstresen gelehnt, drehte er sich noch einmal zu Anna um und sagte bewusst beiläufig: „Ach übrigens, habe ich ganz vergessen zu erwähnen! Richard Marx, dein Artdirector, recherchiert für mich einige Backgroundstorys über Royal International.“ Hastig öffnete er die Glastür und verschwand blitzartig im Foyer.
Als er schon auf dem unteren Treppenabsatz war, hörte er Anna von oben durch das Treppenhaus rufen: „Tony Braun, du schaffst es immer wieder, dass ich dich unsympathisch finde!“
Doch irgendwie klang sie nicht wütend.
7. Linz / Palma: Die dritte Nacht
Etwas war anders. Die Ausdrucke lagen ausgebreitet auf der matt glänzenden, gebürsteten Stahlplatte der Kochinsel, geknickt und abgegriffen und in krassem Gegensatz zu dem gestylten Apartment. Auch die Bilder auf den Ausdrucken standen in krassem Gegensatz zu den exakt angeordneten Designelementen überall in dem weitläufigen Raum. Das Apartment signalisierte Reichtum, Geschmack, Kultiviertheit und Leben, die Bilder zeigten Verfall, Erbärmlichkeit, Armut und Tod.
Etwas war anders. Mit beiden Händen auf die Kochinsel gestützt, starrte Tatjana Drakovic auf die Bilder, versuchte, einen Sinn darin zu finden, einen Zusammenhang, den auch sie verstand. Fünf dieser grauenhaften Fotokopien hatte sie schon erhalten: weißes Kopierpapier, immer dieselben Motive. Am Computer bearbeitete Fotos von Leichen, die im luftleeren Raum zu schweben schienen, ohne Hintergrund, ohne Boden, nur Tote mit aufgerissenen Mündern, leeren Augen, mit zerfetzter Kleidung, verkrampften Fingern und dunklen Blutflecken
Etwas war anders. Der letzte Ausdruck zeigte die Leiche eines kleinen Mädchens mit verfilztem dunklen Haar von hinten, im Genick ein großer dunkler Blutfleck, der sich über den Boden zu einem schwarzen See ausgebreitet hatte, das Bild war penibel freigestellt, der Umgebung entrissen, sodass Kind und Blutlache friedlich in einem weißen Nichts schwebten.
Etwas war anders. Es war der Kopf hinter dem Mädchen, der das System durchbrach, der Kopf eines Mannes, der körperlos über dem Kind schwebte, vierschrötig, wie eine hässliche Sonne, der Kopf eines Mannes, den sie nur zu gut kannte, der Kopf eines Mannes, der ihr Cousin war, der Kopf von Milan Drakovic.
„Es ist der Obolus zu entrichten, nur dann ist der Fährmann bereit, den Fluss zu queren und an das andere Ufer überzusetzen.“
Der Text stand unterhalb der Leiche des Kindes. Der Text als Abschluss einer grauenhaften Inszenierung, der Text als Botschaft, als Aufforderung, als Tatsache, als Begründung, als Erklärung – nur wofür?
Neben den Ausdrucken funkelten sieben kleine geschliffene Wodkagläser im Licht, standen in einer Reihe auf der gebürsteten Stahlplatte der Kochinsel, fünf waren schon leer und zwei noch bis zum Rand mit Wodka gefüllt.
Tatjana Drakovic nahm das sechste Glas, stürzte es in einem Zug hinunter, der Alkohol trieb ihr Tränen ins Gesicht und sie schüttelte
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