Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
Kirchspiel und hatte in seiner Art ebensoviele Siegeszeichen aufzuweisen als irgend ein Fähndrich oder sonstiges Kraftgenie in den Städten und Garnisonen. Er hatte wirklich verschiedene Frauenspersonen bereits bis zur äußersten Liederlichkeit heruntergebracht; einige gingen seinetwegen in welker Verschmachtung umher, und auch die Ehre hatte er gehabt, daß er den gewaltsamen Tod eines armen Mädchens auf dem Gewissen hatte, die sich ersäuft, oder, was weit wahrscheinlicher war, die er selbst ins Wasser gestürzt hatte.
Unter andern Eroberungen solcher Art hatte dieser Kerl auch über das Herz der Betty Seegrim gesiegt. Seinen Liebeshandel hatte er lange vorher schon mit ihr getrieben, bevor Molly noch [202] ein tüchtiger Gegenstand zu solchem Zeitvertreibe geworden war. Nachher aber hatte er sie aufgegeben und sich an ihre Schwester gemacht, bei der es ihm auch fast augenblicklich geglückt war. Nun hatte Wilhelm wirklich allein den Besitz ihrer Neigung, währenddessen Jones und Quadrat, beide fast gleich gut, nur ihrem Eigennutze und ihrem Hochmut zu Opfern dienten.
Hieraus war der unversöhnliche Haß entstanden, welchen wir vorhin in Bettys Gemüt wüten sahen, ob wir es gleich nicht eher für nötig hielten, die Ursache davon anzugeben, weil der Neid allein schon alle Wirkungen hervorbringen konnte, deren wir erwähnten.
Jones war durch den Besitz dieses Geheimnisses, in dem was Molly betraf, völlig beruhigt; in Ansehung Sophiens aber war er von diesem Gemütszustande weit entfernt. Vielmehr ward er von dem heftigsten Kummer gequält. Sein Herz war jetzt, wenn ich die Metapher brauchen mag, völlig geräumt, und Sophie nahm davon unbestrittenen Besitz. Er liebte sie mit unbegrenzter Leidenschaft und sah ganz deutlich die zärtlichen Empfindungen, welche sie für ihn hegte. Dennoch konnte diese Vergewisserung weder seine Verzweiflung über den Punkt der unfehlbaren Weigerung ihres Vaters, noch das Grausen mindern, welches ihn überfiel, wenn er an irgend ein niederträchtiges oder verräterisches Mittel sie sich anzueignen dachte.
Die Beleidigung, die er dadurch dem guten Junker Western zufügen würde, und der Kummer, der daraus dem würdigsten Herrn Alwerth erwachsen müßte, waren die Vorstellungen, welche ihn den Tag hindurch quälten und ihn des Nachts auf seinem Kopfkissen ängstigten. Sein Leben war ein beständiges Ringen zwischen Ehre und Liebe, welche wechselsweise über einander in seiner Seele siegten. Er entschloß sich oft, in Sophiens Abwesenheit ihres Vaters Haus zu verlassen und sie nicht wieder zu sehen, und eben so oft vergaß er in ihrer Gegenwart alle solche Entschließungen und nahm sich dann dagegen vor, sein Leben und alles was ihm noch teurer als dies war daran zu wagen, um zum Besitz seiner Sophie zu gelangen.
Dieser Kampf begann bald sehr starke und sichtbare Wirkungen hervorzubringen, denn er verlor alle seine natürliche Munterkeit und Lebhaftigkeit, und ward nicht nur melancholisch, wenn er allein, sondern auch niedergeschlagen und zerstreut, wenn er in Gesellschaft war; ja, wenn er auch, um mit Junker Westerns Laune zu stimmen, sich Gewalt anthat munter zu scheinen, so war der Zwang so fühlbar, daß er gerade dadurch den stärksten Beweis von demjenigen gegeben zu haben scheint, was er durch diesen Zwang eben zu verbergen suchte.
Es mag vielleicht eine Frage sein, ob die Kunst, die er anwendete, [203] seine Leidenschaft zu verbergen, oder die Mittel, deren die ehrliche Natur sich bediente, sie zu offenbaren, ihn am meisten verrieten: denn während die Kunst ihn mehr als jemals gegen Sophie zurückhaltend machte und ihn abhielt, irgend eines seiner Gespräche an sie zu richten, ihn sogar die äußerste Sorgfalt lehrte, ihre Blicke zu vermeiden, war die Natur nicht weniger beschäftigt, seine Pläne zu vereiteln. Daher kam es denn, daß er bei ihrer Annäherung erblaßte, und wenn sich solche unerwartet fügte, zusammenfuhr. Wenn zufälligerweise seine Augen den ihrigen begegneten, schoß ihm das Blut in die Wangen, und sein Gesicht ward über und über scharlachrot. Wenn ihn die gewöhnlichste Höflichkeit einmal nötigte sie anzureden, zum Beispiel wenn er bei Tische auf ihre Gesundheit trinken mußte, so lief's gewiß nicht ohne Stammeln ab. Wenn er ihre Hand berührte, so zitterte die seinige, ja sogar sein ganzer Körper. Und wenn irgend das Gespräch auch nur noch so leise die Idee von Liebe anregte, so fehlte es selten, daß sich nicht ein unfreiwilliger Seufzer
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