Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
seiner Brust entstahl; und die Natur war wunderbar sinnreich, ihm dergleichen Zufälle tagtäglich in den Weg zu werfen.
Alle diese Symptome entgingen der Aufmerksamkeit des Junkers, aber nicht der von Sophie. Sie ward dieser Gemütsunruhe an Jones sehr bald gewahr und war über ihre Ursache gar nicht zweifelhaft, denn sie durfte solche nur mit demjenigen vergleichen, was in ihrem eigenen Busen vorging. Und dieses Vergleichen ist, wie ich dafür halte, jene Sympathie, die man so oft an Liebenden wahrgenommen hat und woraus es sich zur Genüge erklären lassen wird, warum sie so unendlich viel scharfsichtiger war als ihr Vater.
Jedoch, um die Wahrheit zu sagen, gibt es eine einfachere und näher liegende Methode, diese erstaunenswürdige Ueberlegenheit an Scharfsichtigkeit zu erklären, welche wir oft an einzelnen Menschen über das ganze übrige Menschengeschlecht wahrnehmen, und zwar eine Erklärung, die nicht nur in Liebesfällen, sondern in allen übrigen Stich hält. Denn woher kommt es, daß der Schelm fast durchgängig so schnell und scharfsichtig bei den Merkzeichen und Schlichen der Schelmerei ist, wodurch oft ein redlicher Mann von weit hellerem Verstande betrogen wird? Es herrscht doch gewiß keine allgemeine Sympathie unter den Schelmen, und sie haben doch auch nicht wie die Freimaurer ein allgemeines Erkennungszeichen? Die Sache steckt wirklich nur darin, daß sie einerlei Absicht im Kopfe haben und ihre Gedanken einerlei Richtung nehmen. Daher kann es uns nicht wundern, daß Sophie die deutlichen Merkmale der Liebe an Jones sah und Western nicht, wenn wir bedenken, daß die Idee von Liebe dem Vater niemals in den Kopf [204] kam, seine Tochter hingegen zu dieser Zeit an gar nichts andres dachte.
Seitdem Sophie fest von der Leidenschaft überzeugt war, welche den armen Jones quälte und nicht minder gewiß war, daß sie selbst der Gegenstand dieser Leidenschaft sei, ward es ihr außerordentlich leicht, die wahre Ursache seines jetzigen Betragens zu entdecken. Dies vermehrte ihre Neigung zu ihm um ein großes, und erweckte in ihrem Herzen zwei der vorteilhaftesten Bewegungen, die nur ein Liebender in seiner Geliebten zu erwecken wünschen mag. Diese waren Hochachtung und Bedauern. Nun sollte ich doch glauben, die entsetzlichste Rigoristin müßte sie entschuldigen, daß sie einen Mann bedauerte, den sie ihretwegen so viel leiden sah, ebensowenig könnte diese Rigoristin sie darüber tadeln, daß sie einen Mann hochschätzte, der so sichtbarlich aus den redlichsten Ursachen strebte, eine Flamme in seinem Busen zu ersticken, welche, gleich dem berühmten spartanischen Diebstahl, an seinen eigenen Eingeweiden nagte. Daher seine Blödigkeit, seine Entfernung, seine Kälte und sein Stillschweigen seine eifrigsten, fleißigsten, wärmsten und beredtesten Sachwalter wurden und so heftig auf ihr zärtliches und sanftes Herz wirkten, daß sie bald alle die milden Empfindungen für ihn fühlte, welche in einer tugendhaften und erhabenen weiblichen Seele stattfinden können. – Kurz alles, was Hochachtung, Dankbarkeit und Mitleiden einer solchen Person gegen einen angenehmen Mann einflößen – in der That alles, was die reinste Delikatesse erlaubt – mit einem Wort – sie war in ihn verliebt bis über die Ohren.
Eines Tages begegnete sich dies junge Paar von ungefähr im Garten am Ende von zwei Gängen, welche beide auf den Kanal stießen, in welchem Jones ehemals fast ertrunken wäre, als er den Vogel wieder fangen wollte, den Sophie da verloren hatte.
Die letzte Zeit her hatte Sophie diese Gegend sehr fleißig besucht. Hier pflegte sie mit einer Mischung von Schmerz und Vergnügen über einen Zufall nachzudenken, der, so geringfügig er an und für sich selbst sein mochte, doch vermutlich den ersten Samen der Liebe ausgestreut hatte, die jetzt in ihrem Herzen zu solcher Reife gediehen war.
Hier also begegnete sich das junge Paar. Sie waren einander fast ganz nahe gekommen, ehe eines vom andern das geringste wahrgenommen hatte. Ein Zuschauer würde in beiden Gesichtern Zeichen genug von Verwirrung entdeckt haben. Sie fühlten aber selbst zu viel, um die geringste Beobachtung zu machen. Sobald als Jones sich ein wenig von seiner ersten Bestürzung erholt hatte, näherte er sich dem Fräulein mit den gewöhnlichen Begrüßungsformeln, [205] welche sie auf eben die Art erwiderte, und ihre Unterredung begann ganz alltäglich über die Lieblichkeit und Schönheit des Morgens. Von da gingen sie über zu der
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