Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
alten noch neuern Schriftsteller zur Gewerkschaft gebracht worden ist. Diese Ader oder Flötze ist keine andere, als die Schichte von Kontrast, welche unter allen Werken der Schöpfung hindurchstreicht und wahrscheinlicherweise viel dazu beitragen mag, unsre Begriffe von allem, was Schönheit heißt, sowohl in den Werken der Natur als der Kunst, näher zu bestimmen: denn, was gibt wohl eine anschaulichere Erkenntnis vom Schönen und Vortrefflichen, als eben ihr Gegensatz? Daher wird die Schönheit des Tages und die Schönheit des Sommers durch das Grausen der Nacht und des Winters gehoben. Und ich glaube, wenn es möglich wäre, daß ein Mensch nur die beiden ersten gesehen hätte, er nur einen sehr unvollkommenen Begriff von ihrer Schönheit haben würde. Doch, um ein gar zu ernsthaftes Ansehen zu vermeiden, kann man zweifeln, daß das schönste Frauenzimmer von der Welt alle Vorteile ihrer Reize in den Augen eines Mannes verlieren würde, der niemals ein Frauenzimmer von schlechterem Schlage gesehen hätte? Dies scheinen auch die Damen selbst so richtig zu fühlen, daß sie sehr geschäftig sind, ihren Reizen allerlei Arten von Folie unterzulegen; ja, sie machen sich zuweilen selbst zu ihrer eignen Folie; denn ich habe bemerkt (besonders bei Gesundbrunnen und Bädern), daß sie sich alle Mühe geben, des Vormittags so häßlich als möglich zu erscheinen, um die Schönheit, welche sie des Abends der Gesellschaft zu zeigen willens sind, desto mehr herauszuheben.
[180] Die meisten Künstler wenden dies Geheimnis bei ihren Werken an, ob sie gleich die Theorie davon nicht alle sonderlich studiert haben mögen. Der Juwelier weiß, daß der feinste Brillant eine Folie verlangt, und der Maler erwirbt sich oft durch Kontrastierung seiner Figuren einen großen Beifall. Ein unter uns lebendes großes Genie wird diese Sache in ihr völliges Licht setzen. Ich kann diesem Manne freilich in keiner Klasse von gewöhnlichen Artisten seinen Rang anweisen, weil er ein Recht hat, einen Platz unter jenen zu behaupten, d.i.:
Inventas qui vitam excoluere per artes.
Welche durch erfundene Künste das Leben verschönern.
Ich meine hier den Erfinder der höchstvortrefflichen Belustigung, genannt: Nikolinische Pantomimen.
Dieses Schau- und Lustspiel besteht aus zwei Teilen, welche der Erfinder durch die Benennung
Serioso
und
Comico
unterscheidet. Der
Serioso,
oder Ernsthafte, brachte eine gewisse Anzahl von heidnischen Göttern und Helden auf den Schauplatz, welche die elendeste und langweiligste Gesellschaft ausmachten, in welche nur jemals ein Auditorium versetzt worden ist und (aber das war ein Geheimnis, um welches nur wenige wußten) ausdrücklich dazu bestimmt war, die
Particomica,
oder den komischen Teil des Lustspiels, zu kontrastieren und die lustigen Streiche des Harlekins um so willkommener zu machen.
Dies hieß nun vielleicht mit so hohen Personagen nicht gar zu höflich umgehen. Aber der Kunstgriff war indessen doch schlau genug ersonnen und that seine Wirkung. Und dies wird noch deutlicher erhellen, wenn wir, anstatt ernsthaft und komisch die Worte langweilig und langweilig setzen: denn, das Komische war gewiß langweiliger als alles, was man bisher auf dem Theater gesehen hatte, und konnte nur von dem übermäßigen Grade von Langeweile, welcher durch das Ernsthafte herrschte, in etwas beleuchtet werden. So unerträglich ernsthaft waren in der That diese Götter und Helden, daß
Arlechino
(obgleich der deutsche Herr von etwas ähnlicher Tracht und etwas ähnlicherem Zauberschwerte keineswegs mit der italienischen oder französischen Familie verwandt ist, denn er führt mehr Ruhe und Stätigkeit in seinem Temperamente) auf der Bühne allemal willkommen war, weil er das Auditorium von noch schlechterer Gesellschaft erlöste.
Einsichtsvolle Schriftsteller haben sich beständig dieser Kunst des Kontrapostierens mit großem Erfolge bedient. Es hat mich gewundert, daß Horaz über diese Kunst beim Homer sein Mißfallen [181] bezeigt. Doch in der That widerspricht er sich selbst gleich in der nächsten Zeile:
Indignor, quandoque bonus dormitat Homerus;
Verum operi longo fas est obrepere somnum.
Leid ist mir's, doch der treffliche Homer
Nickt auch zuweilen; aber, daß der Schlaf
Bei solchem langen Werk uns überschleiche,
Ist in der Ordnung –
Denn wir müssen das hier nicht so verstehen, wie es vielleicht einige verstanden haben, daß ein Autor wirklich einschlafe, derweil er sein Werk
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