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Tom Sawyers Abenteuer und Streiche

Titel: Tom Sawyers Abenteuer und Streiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Twain
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aufkeimender Hoffnung liebend zu beobachten begann. Trotzdem verringerten sich dieselben aber bei näherer Betrachtung mehr und mehr und waren bald gänzlich verschwunden. Wieder überlegte Tom. Plötzlich entdeckte er etwas. Einer seiner oberen Zähne wackelte bedenklich, Er frohlockte. Schon begann er sich zu einem tiefen Stöhnen vorzubereiten, das er als Einleitung vorausschicken wollte, als ihm noch zur richtigen Zeit der Gedanke kam, daß, wenn er diesen Beweis von Krankheit ins Feld führe, die Tante ihm einfach den Zahn ausreißen würde, und das tat weh. Damit wollte er also nur im Notfall herausrücken und jetzt erst noch ein bißchen weiterherum denken. Eine Weile war alles Sinnen umsonst, dann erinnerte er sich, wie der Doktor einmal von einem Manne erzählt hatte, dem irgend etwas, Tom wußte nicht mehr genau was, etwas wie kalter Brand oder dergleichen, bei einem schlimmen Finger hinzugetreten sei, daß derselbe zwei bis drei Wochen damit zu tun gehabt und schließlich beinahe den Finger verloren habe. Zum Glück war Tom imstande, eine schlimme Zehe aufzuweisen, die er sich vor ein paar Tagen einmal irgendwo verletzt hatte. Die zog er nun eiligst unter der Decke vor, um sie aufs eingehendste zu prüfen. Damit ließ sich was machen! Leider kannte er die nötigen Symptome nicht, über die er sich beklagen mußte, aber probieren wollte er's doch auf jeden Fall und so begann er denn laut und tief aufzustöhnen.
    Sid aber schlief ruhig und sorglos weiter.
    Tom stöhnte lauter und meinte auf einmal wirklich Schmerz in der Zehe zu spüren.
    Sid gab kein Zeichen.
    Tom leuchte schon förmlich vor Anstrengung. Einen Moment sammelte er neue Kraft, hielt den Atem an und stieß dann eine ordentlich fortlaufende Tonleiter von wunderbar echtem Stöhnen aus.
    Sid schnarchte weiter.
    Nun wurde Tom ärgerlich. Er begann den hartnäckigen Schläfer zu rütteln und »Sid, Sid« zu rufen. Das wirkte besser und nun begann das Stöhnen von neuem. Sid gähnte, streckte sich, stützte sich dann mit einem letzten Schnarcher auf seinen Ellbogen und starrte nach Tom hin. Tom stöhnte weiter. Endlich ruft Sid:
    »Tom, so hör' doch, Tom!«
    Keine Antwort.
    »Nu, Tom, Tom, was ist los?« und er rüttelte ihn und starrte ihm voll Angst ins Gesicht.
    Tom stöhnte:
    »Ach, Sid, laß los, du tust mir weh!«
    »Herr Gott, was gibt's, Tom? Ich muß die Tante rufen.«
    »Nein, laß sein. Es wird schon vorübergehen. Ruf' niemand.«
    »Doch, natürlich, das muß ich. Stöhn' doch nicht so, Tom, das ist ja schrecklich. Wie lang tut dir's denn schon weh?«
    »Ach, stundenlang. Autsch, autsch! Sei doch still, Sid, und laß mich in Ruhe.«
    »Warum hast du mich denn nicht früher geweckt? Herr Gott, Tom, hör' auf, es macht einen ja elend, dich so stöhnen zu hören. Wo tut dir's denn weh?«
    »Ich verzeih' dir alles, Sid, was du mir je getan hast, (Stöhnen.) Alles, alles, Sid! Wenn ich tot bin –«
    »O, Tom, du wirst doch nicht sterben? Sag nein, Tom, komm, sag nein. Vielleicht –«
    »Ich vergebe allen Menschen, Sid. (Tiefes Stöhnen.) Sag's allen. Und, Sid, gib du die schöne gelbe Türklinke, die ich habe, und die einäugige Katze dem Mädchen, das neulich erst gekommen ist und sag ihr –«
    Aber Sid hatte schon seine Kleider aufgerafft und war verschwunden. Tom litt nun in Wahrheit, so lebhaft arbeitete seine Einbildungskraft und sein Stöhnen fing an erschreckend natürlich zu klingen.
    Sid flog die Treppe hinunter und rief atemlos:
    »Tante Polly, Tante Polly, komm schnell, Tom stirbt!«
    »Stirbt?«
    »Ja, ja, eil' dich doch, frag' nicht lang.«
    »Dummheiten! Ich glaub's nicht.«
    Trotzdem aber stürzte sie die Treppe hinauf, so schnell sie ihre alten Beine tragen wollten und Mary hinter ihr her. Blaß war auch sie geworden und ihre Lippen zitterten. Am Bett angelangt, keuchte sie nur so:
    »Tom, Tom, was gibt's, was ist los?«
    »Ach, Tante, ich –«
    »Was gibt's – was ist's, Kind, was fehlt dir?«
    »Ach, Tante, ich – ich hab' furchtbare Schmerzen da an meiner Zehe, – ich hab' – ja ich hab', glaub' ich – den kalten Brand!«
    Erleichtert aufseufzend sank jetzt die arme Tante auf einen Stuhl, lachte ein wenig, weinte ein wenig, tat dann beides zusammen, was sie wieder so weit herstellte, daß sie Worte fand:
    »Tom, Bengel, wie hast du mich erschreckt! Jetzt hör' aber auf mit dem Unsinn und mach', daß du ans dem Bett kommst. Es ist Zeit zum Aufstehen! Vorwärts – oder ich geb' dir was, um deinen kalten Brand zu

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