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Tom Sawyers Abenteuer und Streiche

Titel: Tom Sawyers Abenteuer und Streiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Twain
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Brust, er schlug die Hände vors Gesicht und wiegte den Oberkörper hin und her, im Übermaß des Schmerzes. Tiefes, lautloses, peinliches Schweigen herrschte im Hause. Manch hartes Mannesherz war bewegt, und der Frauen Mitleid bezeugte sich in Strömen von Tränen. Endlich ergriff der Verteidiger das Wort:
    »Meine Herren Richter und Geschworenen, – Bei Beginn dieser Verhandlung gaben wir unsere Absicht kund, zugunsten unseres Klienten geltend zu machen, daß er die furchtbare Tat in dem Zustand eines durch Übermaß geistiger Getränke herbeigeführten sinnlosen Deliriums beging, ein Zustand, der an sich schon jede Verantwortung ausschließen sollte. Wir haben diese Absicht aufgegeben, wir werden uns hierauf nicht weiter berufen.«
    Sich zum Gerichtsdiener wendend rief er dann:
    »Man führe Thomas Sawyer vor!«
    Verwundertes Staunen zeigte sich auf jedem Antlitz, dasjenige Potters nicht ausgenommen. Jedes Auge haftete in steigendem Interesse an Tom, als dieser sich nun erhob und dem Zeugenstand zuschritt. Verwirrt genug sah der Knabe aus und war dabei augenscheinlich in höchster Angst. Das Verhör begann:
    »Thomas Sawyer, wo befanden Sie sich am siebzehnten Juni, um die Mitternachtsstunde?«
    Tom streifte flüchtig mit seinem Blick die eiserne Stirn des Indianer-Joe, und die Zunge versagte ihm den Dienst. Atemlos lauschte die Menge, die Worte wollten nicht kommen. Nach ein paar Augenblicken jedoch raffte sich der Junge zusammen, es gelang ihm, Gewalt über seine Stimme zu bekommen, soweit wenigstens, daß er einem Teil des Hauses verständlich wurde:
    »Auf dem Friedhofe.« »Ein wenig lauter, bitte. Nur keine Angst! Sie waren also –«
    »Auf dem Friedhofe.«
    Ein verächtliches Lächeln zuckte über das Gesicht des Indianer-Joe.
    »Befanden Sie sich irgendwo in der Nähe vom Grabe des alten William?«
    »Ja, Herr Anwalt.«
    »Könnten Sie nicht ein klein wenig lauter reden? Wie nahe ungefähr waren Sie wohl?«
    »So nahe, wie ich hier bei Ihnen stehe.«
    »Hielten Sie sich versteckt oder nicht?«
    »Ich war versteckt.«
    »Wo?«
    »Hinter den Ulmen, die dort dicht beim Grabe stehen.«
    Der Indianer-Joe fuhr fast unmerklich zusammen.
    »War noch sonst jemand mit Ihnen?«
    »Ja, ich war dorthin gegangen mit –«
    »Halt, einen Augenblick. Wir wollen den Namen noch nicht hören, darauf kommen wir später zurück. Hatten Sie etwas mitgebracht?«
    Tom zögerte und sah verwirrt vor sich nieder.
    »Heraus damit, mein Junge, nur nicht ängstlich. Die Wahrheit zu reden ist immer ehrenhaft. Also, was hattest du bei dir?«
    Unbewußt war der Frager von dem förmlichen Ton eines öffentlichen Inquirenten in den aufmunternden, väterlichen verfallen, der unserem Helden gegenüber weit mehr am Platze war, Dadurch ermutigt, stammelte dieser zögernd:
    »Nur – nur – nur 'ne tote Katze!«
    Ein leises Gekicher ließ sich vernehmen, dem sofort Einhalt geboten wurde.
    »Wir werden uns späterhin erlauben, das betreffende Gerippe den Herren Geschworenen als Beweis vorzulegen. Und jetzt, mein Sohn, erzähl du mir alles, was du gesehen hast, erzähl's ganz schön auf deine Art, verbirg uns nichts, vergiß nichts und vor allem fürcht dich nicht.«
    Tom begann – stotternd, zögernd im Anfang, da er sich aber mit seinem Thema erwärmte, flossen ihm die Worte leichter und leichter. Nach ein paar Momenten erstarb jedes andere Geräusch im ganzen weiten Saale, nur der Laut der klaren, hellen Knabenstimme war hörbar. Jedes Auge war auf den Jungen gerichtet, offenen Mundes, mit verhaltenem Atem folgte man seinen Worten, Richter, Geschworene, Publikum schienen der Welt entrückt, so gefesselt waren sie von der drastischen Schilderung der grausigen Tat. Die atemlose Erregung der Versammlung hatte ihren Höhepunkt erreicht, als der Junge sagte: »Und wie der Doktor mit dem Brett auf den Muff Potter einhieb und der umfiel, da sprang der Indianer-Joe mit dem Messer auf und –«
    Krach! Rasch wie der Blitz war der Indianer-Joe mit einem Sprung emporgeschnellt, dem Fenster zugestürzt, die ihm im Weg Stehenden zur Seite schleudernd, und ehe man zur Besinnung kam, hatte er sich hindurchgeschwungen und – war verschwunden!
     

     

22. Entzücken und Grauen.
    Wiederum war Tom zum strahlenden Helden der Stadt geworden, – ein Liebling der Alten, der Neid der Jugend. Sein Name wurde sogar durch den Druck unsterblich gemacht, das Blättchen der Stadt erging sich in vielen Lobpreisungen seiner Heldentat. Einige seiner

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