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Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders

Titel: Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Billingham
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nicht die geringste Angst. Das sah ich an der Art, wie sie ging, als ich ihr aus dem Bahnhof folgte. Keine anmaßende oder aufgesetzte Furchtlosigkeit, sondern einfach eine Art Vertrauen. Sie sah in jedem Menschen das Gute, das spürte ich. Es war dunkel, und sie konnte meine Schwäche und Bösartigkeit nicht erkennen. In ihren Augen stand keine Angst, als ich sie ansprach.
    Doch sie wusste, was passieren würde, als sie die Angst in meinen sah.
    Und als ihr das klar wurde, begann sie zu kämpfen. Aber sie war nicht stark genug. Sie war nicht halb so stark wie ich, Karen, ich brauchte nur abzuwarten, bis ihre Kräfte nachließen. Sie kratzte und spuckte, und ich konnte sie nicht ansehen. Und als es vorbei war, ertrug ich es nicht, dass ihr Gesicht, das so offen und warm wie deines gewesen war, nun aussah, als befände es sich hinter Glas oder sei seit langer Zeit in einem Eisblock eingefroren. Und dass ich dafür verantwortlich war.
    Und ich hatte einen Steifen, Karen. Während ich es tat und noch einmal danach, als ich sie versteckte. Ich blieb erregt, bis das Brausen in meinem Kopf aufhörte und die Kratzer auf meinen Händen zu schmerzen begannen.
    Ich war so erregt wie noch nie, noch nie, solange ich denken kann.
    Damit möchte ich dich nicht in Verlegenheit bringen, aber wenn ich zu dir nicht ehrlich sein kann in diesen Dingen, dann ist alles zwecklos. Ich habe dir nie wirklich gesagt, was ich denke, als ich die Gelegenheit dazu hatte. Daher werde ich jetzt nichts vor dir verbergen.
    Und ich werde dich nie belügen, Karen. Das verspreche ich dir.
    Natürlich bist du nicht der einzige Mensch, der mich wirklich kennt, aber du bist der Einzige, der über mein Innerstes Bescheid weiß. Ich möchte keine Entschuldigungen finden, mir ist klar, dass ich nichts verlangen kann, aber zumindest halte ich nichts zurück und bin ich offen. Offen und ehrlich.
    Sie hat mir nichts bedeutet, diese Frau vom Bahnhof. Sie hat mir nichts bedeutet, und ich habe zugedrückt, bis das Leben aus ihr draußen war.
    Es tut mir so entsetzlich Leid, und ich verdiene, was mit Sicherheit kommen wird.
    Ich hasse es, dich um einen Gefallen zu bitten, Karen, aber wenn du sie siehst, die Frau, die ich umgebracht habe, könntest du ihr das von mir ausrichten?

 
1982
    Die Kinder nannten es die »Dschungelgeschichte«.
    Das Opfer wurde auf den Asphalt gedrückt, wobei jeweils ein Junge einen Arm festhielt und ein weiterer sich auf seinen Bauch setzte. Als Waffe wurden die Finger eingesetzt – schlagen, pieksen, stechen –, im Rhythmus der Geschichte wurde auf das Brustbein eingetrommelt. Die Geschichte selbst war einfach, eine unverhohlene Ausrede, um Schmerz zuzufügen.
    Der drahtige, schwarzhaarige Junge lehnte sich an eine Mauer, seinen kleinen dunklen Augen entging nicht das geringste Detail. Er sah zu, als die Folter begann.
    Waren es nur die Kletteraffen oder irgendwelche anderen kleinen Tiere, für die sich der Erzähler der Geschichte entschied, war es nicht mehr als ein Kitzeln. Das Opfer wälzte sich am Boden, bat sie aufzuhören, es loszulassen. Dabei war die Angst vor dem, was noch bevorstand, am schlimmsten. Anschließend kamen die Löwen und Tiger. Schwerere Schritte, die Finger bohrten fester, die ersten Tränen liefen. Wobei natürlich alles auf die anscheinend endlose Elefantenherde hinauslief, die durch den Dschungel trampelte und bei der die Fäuste auf den Brustkorb eintrommelten. Was unerträglich wehtat.
    Das große Kind am Boden hatte angefangen zu brüllen.
    Der Junge stieß sich von der Wand ab, nahm die Hände aus der Tasche und ging über den Schulhof auf den Kreis zu, den die johlenden und klatschenden Zuschauer bildeten. Es war Zeit einzuschreiten.
    Der »Geschichtenerzähler« hieß Bardsley. Der Junge hasste ihn. Er bahnte sich seinen Weg durch die Menge, was nicht schwierig war, da die meisten anderen Drittklässler Angst vor ihm hatten. Schließlich war er der » Verrückte«, der, der vor nichts zurückschreckte. Das Kind, das ohne zu zögern ein Pult aus dem Fenster warf, mit seinem kleinen Pimmel vor der Klasse herumfuchtelte oder dem Lehrer die Luft aus den Reifen ließ. Er hatte oft genug nachsitzen müssen, um sich diesen Ruf zu verdienen. Aber der Respekt, den er sich dadurch verschaffte, war es wert gewesen.
    Er scherte sich nicht um Geografie oder Französisch, aber über Respekt wusste er Bescheid.
    Beiläufig fasste er nach unten, griff in Bardsleys Haare und riss ihn nach hinten. Ein Stöhnen ging

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