Tom Thorne 10 - Tödlicher Verdacht
Lokalzeitung gelesen und voller Enthusiasmus bei F . A . Investigations angerufen hatte. Feuer und Flamme war sie gewesen und grün hinter den Ohren. Vor achtzehn Monaten, in einem anderen Leben. Was, zum Teufel, hatte sie sich dabei gedacht, als sie aus einem gut bezahlten Job ausgestiegen war, Freunden und Kollegen den Rücken gekehrt hatte, für … das ?
Zehn Pfund die Stunde, um Tee zu kochen und sich um Franks Buchhaltung zu kümmern. Um Anrufe entgegenzunehmen und sich an Männer ranzumachen, die ihr bestes Stück nicht in der Hose behalten konnten.
Und dennoch, obwohl sich die Dinge so entwickelt hatten, wusste Anna, dass sie den richtigen Instinkt gehabt hatte, dass an ihrem Ehrgeiz nichts verkehrt gewesen war. Wie viele Leute waren in ihrer Situation gefangen, hatten zu viel Angst, um eine Veränderung herbeizuführen, wie sehr sie sich auch danach sehnten?
Wie viele fanden sich mit ihrem Job, ihrem Partner, ihrem Leben ab?
Sie hatte sich etwas anderes gewünscht, das war alles. Sie hatte geglaubt, sie würde sich selbst helfen, indem sie anderen half. Dass sie das zumindest davor bewahren würde, sich in eine jener verbissenen Großstadt-Amazonen zu verwandeln, die den lieben langen Tag in ihren Jimmy-Choo-High-Heels an ihr vorbeistöckelten. Und, ja, sie hatte geglaubt, es sei womöglich ein bisschen spannender als Termingeschäfte und verdammte Hedge-Fonds.
Hatte sich etwas vorgemacht.
Genauso wie damals, als sie ein Flugblatt zum Beitritt zur Armee aufgehoben hatte oder als sie ganze fünf Minuten lang über eine Laufbahn bei der Polizei nachgedacht hatte. Vor anderthalb Jahren hatten einige ihrer Freunde ihren radikalen Berufswechsel von der Bankerin zur Privatdetektivin als »mutig« bezeichnet. »Mutiger als ich«, hatte Angie, eine Triage-Krankenschwester, gesagt. Rob, der Lehrer an einer Schule im Norden von London war, wo raue Sitten herrschten, hatte zustimmend genickt. Anna hatte den Verdacht gehabt, dass sie eigentlich »dumm« meinten, das Kompliment jedoch trotzdem genossen.
Aber Soldatin? Polizistin? Dafür war sie ganz bestimmt nicht mutig genug …
Anna stand auf, als die U -Bahn in die Victoria Station einfuhr, und ihr Blick traf sich mit dem der Frau, die ihr gegenübergesessen hatte. Sie versuchte, ein Lächeln zustande zu bringen, musste sich jedoch abwenden, da sie plötzlich und ohne jeden Grund davon überzeugt war, dass die Frau sie durchschaut hatte. Dass sie sehen konnte, was sie war.
Sie fühlte sich überdreht und benommen, als die Rolltreppe sie nach oben zur Straße beförderte, und konnte es kaum erwarten, wieder ins Büro zu kommen und sich umzuziehen. Wollte die bescheuerten High Heels loswerden, in denen sie herumstöckelte, und wieder in ihre Turnschuhe schlüpfen. Sie sehnte sich danach, dass der Tag endete und die Dunkelheit sie umhüllte. Wollte etwas trinken und schlafen. Erst als sie an der Sperre zur Fahrscheinkontrolle ankam und nach ihrer Oyster-Card kramte, fiel ihr auf, dass sie eine herausgerissene Seite der Metro in der geballten Faust hielt.
Die Detektei befand sich zwischen einer Reinigung und einem Wettbüro: eine ramponierte braune Tür mit schmutziger Glasscheibe. Als Anna in ihre Handtasche griff, um die Schlüssel herauszuholen, kam eine Frau auf sie zu, die am Randstein gestanden hatte. Sie war zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt, und in ihrem Blick lag etwas Aggressives.
Anne wich einen halben Schritt zurück. Bereitete sich darauf vor, »nein« zu sagen. Die typische Londoner Reaktion.
»Sind Sie Detektivin?«, fragte die Frau.
Anna starrte sie nur an. Nein, nicht aggressiv, dachte sie. Verzweifelt.
»Ich habe Ihre Anzeige gesehen, und ich brauche ein wenig Hilfe bei etwas, also …«
Hinter der Glasscheibe war kein Licht zu erkennen, und Anna vermutete, dass aus Franks Mittagsdrink mehrere geworden waren. Höchstwahrscheinlich ließ er etwaige Anrufe bei F . A . Investigations auf sein Handy umleiten und würde sich den ganzen Nachmittag nicht mehr blicken lassen.
»Ja«, sagte Anna, »das bin ich.« Sie holte ihre Schlüssel hervor und trat zur Tür. »Kommen Sie herein.«
Zweites Kapitel
Hätten die beiden Männer nebeneinandergesessen oder sich in einem Vernehmungsraum über den Tisch hinweg angestarrt, wäre der entscheidende Unterschied zwischen ihnen womöglich gar nicht aufgefallen. Zumindest nicht dem oberflächlichen Betrachter. Hätte sich nicht einer der beiden auf der Anklagebank befunden und der andere im
Weitere Kostenlose Bücher