Tony Mendez 02 - Eine verräterische Spur
lange Grillzange. Zurück im Wohnzimmer, trat sie zögernd zum Sofatisch, sie wollte das Foto nicht ansehen. Mit heftig zitternder Hand versuchte sie, es mit der Zange an einer Ecke zu packen, und fluchte, als sie es stattdessen ein Stück weiter wegschob.
Nach mehreren Versuchen bekam sie es endlich zu fassen. Mit ausgestrecktem Arm trug sie es in die Küche, als wäre es eine tote Ratte oder Schlange. Dort warf sie das Foto in den Mülleimer und entsorgte auch gleich die Zange.
Ein neuer Weinkrampf schüttelte sie. So viel Angst hatte sie noch nie in ihrem Leben gehabt.
Gina gehörte nicht zu den Menschen, die die Aufregung suchten und bereit waren, an ihre Grenzen zu gehen. So war Marissa gewesen, sie hatte immer große Pläne gehabt. Das hatte sie ja überhaupt erst nach Oak Knoll geführt.
Gut, Gina war auch froh gewesen, dass Marissa sie mitnahm. Es hatte sich alles glücklich gefügt. Ihr gefiel das Leben in Oak Knoll. Ihr gefielen das Städtchen und ihr Haus. Die Boutique lief gut. Sie war zufrieden. So hätte es ewig weitergehen können. Das Einzige, was ihr fehlte, war ein netter Mann – nicht einmal ein reicher Mann, nur ein netter.
Aber jetzt war alles kaputt. Marissa war tot.
Sie presste eine Hand auf den Mund und versuchte den Weinkrampf zu unterdrücken, bekam Schluckauf, musste husten. In den Lokalnachrichten kam der Bericht über den Mord an Marissa als Aufmacher. Gina nahm die Fernbedienung und drehte den Ton lauter.
Zuerst zeigten sie eine Aufnahme von Marissas Haus, das mit der Veranda und den Blumen und Marissas ausgefallenen Skulpturen im Garten immer einer der Lieblingsplätze von Gina gewesen war. Jetzt wirkte es verlassen und finster.
Dann wurde live zum Büro des Sheriffs umgeschaltet. Der Sheriff sprach über die Ergebnisse der Autopsie. Dass Marissa an mehreren Stichwunden gestorben sei und sich ihre Tochter in stabilem Zustand im Krankenhaus befinde. Er bestätigte, dass für Hinweise, die zur Verhaftung des Täters führten, eine Belohnung von 25 000 Dollar ausgesetzt war. Die Telefonnummer, unter der die Hinweise entgegengenommen wurden, war am unteren Bildschirmrand eingeblendet.
Fünfundzwanzigtausend Dollar waren eine Menge Geld. Wenigstens für Gina, auch wenn Marissa das Gegenteil gesagt hätte. Für die meisten Leute wäre es eine Menge Geld. Die Boutique lief gut, aber in einem Laden, der ständig neue Ware bereithalten musste, war der Cashflow immer ein Problem. Marissa konnte ihr nicht mehr aushelfen. 25 000 Dollar würden wenigstens fürs Erste die finanziellen Probleme lösen, die ihr Tod mit sich brachte.
Aber sie müsste am Leben bleiben, um sich das Geld abholen zu können.
Vor Ginas Augen fing alles an zu verschwimmen, und sie musste sich setzen. Dann kam ihr eine Idee, und die machte sie erst recht schwindlig. Einen solchen Plan hätte Marissa aushecken können – und sie hätte ihn ohne Zögern umgesetzt.
Mehr als nein sagen können sie nicht . Das hätte Marissa gesagt.
Aber das stimmte nicht. Denn Marissa war tot.
Gina schloss die Augen und sah das Foto, das sie weggeworfen hatte, vor sich.
Am klügsten wäre es, wenn sie ihr Zeug zusammenpacken und sich so schnell wie möglich aus dem Staub machen würde.
Aber sie liebte ihr Zuhause. Sie liebte ihr Leben hier.
Schon vor Stunden hatte sie den Telefonhörer von der Gabel genommen. Irgendwelche Journalisten hatten herausgefunden, dass sie mit Marissa befreundet gewesen war, und wollten sie interviewen. Sie wollten dumme Fragen stellen, zum Beispiel, wie sie sich fühlte, nachdem ihre beste Freundin ermordet worden war, und ob sie wüsste, wer der Mörder war.
Vielleicht könnte sie ihre Geschichte verkaufen. Vielleicht war das das Beste.
Sie schaltete den Fernseher auf stumm und starrte den Sheriff und die Telefonnummer an. Auf dem Sofatisch lag die Visitenkarte, die der ältere Detective dagelassen hatte.
Sie wusste nicht, was sie tun sollte.
Sie wählte die Nummer.
Zehn Minuten später fuhr sie die Straße hinunter und dachte über ihr Vorhaben nach. Als sie an der nächsten Kreuzung abbog, bog ein dunkelroter Ford Taunus von der anderen Seite her in ihre Straße ein. Darin saßen zwei Detectives, die sie bewachen und beschützen sollten.
32
Mark Foster war jünger, als Mendez erwartet hatte. Den Leiter des Fachbereichs Musik an einem renommierten College wie dem McAster hatte er sich alt und langweilig vorgestellt, mit einem ausgebeulten braunen Anzug, Nickelbrille und aus den Ohren
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