Totenklang
1
Freitag
Heute sei kein Tag zum Töten. Das sehe ich anders. Die Hose hochgekrempelt, stehe ich bis weit über die Knie im siebzehn Grad kalten Wasser des Landeskroner Weihers unweit der schweren Brückenpfeiler, die es beinahe trotzig felsenfest in dem grünlichen Gewässer aushalten. Dabei sind die Betonbeine erfreulich unmarkiert von jugendlichen Spraydosenergüssen.
Da schwimmt er vor mir her, wendet behände mit seinem glänzenden Schuppenkleid, wedelt sich mir entgegen, in meinem Kopf spielt eine Melodie aus dem weißen Hai – duudum duudum duudum – jetzt sieht es so aus, als wolle der Monsignore mit dem herablassenden Blick und dem arroganten Zug um den Mund mir durch die Schenkel gleiten. Stoisch und mit ruhigen Bewegungen hält er auf mich zu, das ist meine Chance, mein Petri Heil. Das steife Warten in der Kälte hat sich gelohnt, ich bringe den Kescher in Stellung und mit einem Wusch durchsiebt er das Wasser. Mir ist, als hätte ich den kapitalen Weiherkönig erwischt.
»Kein Tag zum Töten heute«, beharrt der Alte am Ufer. Nur unmerklich zucke ich zusammen, kaum dass sein Satz begonnen hat. Einen Moment unkonzentriert, der Moment, der dem Fisch das nackte Leben rettet, und weg ist er. Was bleibt, jedoch nur kurz, ist das Abebben der kleinen Wellen, die mein Manöver gegen den Fisch ausgelöst haben, die halberfrorenen Extremitäten und das beständige mannsgroße Loch in meinem Magen. Der Tag hätte so schön ausklingen und der Karpfen in meinem Bauch schwimmen können. In einem See aus Rotwein, garniert mit einem Scheibchen Zitrone, ein wenig Schnittlauch und einem Sträußchen Petersilie. In meinem Mund bildet sich eine Pfütze des Begehrens. Vor meinen Augen erscheint der alte Mann am Ufer, der sich gerade keckernd lachend über meinen Lambrusco hermachen will. Das geht zu weit. Mir das Essen verjagen und mich dann trocken trinken wollen. Steifbeinig kämpfe ich mich durch das Wasser, Wut steigt in mir hoch. Jetzt bloß aufpassen, dass ich am Ufer nicht im Matsch ausrutsche. Schnaubend kommt die hungrige Kampfmaschine Heiner, das bin ich, vor dem Alten zum Stehen. Der schaut aus lustiglistigen Augen zu mir auf, zieht eine Stange Weißbrot aus seinem Mantel, grinst und sagt:
»Kein Tag zum Töten. Fisch und ich lieben das Leben.«
Meine Güte, wie der redet, der ist auch nicht von hier. Seine Bewegungen und seine knochigen Finger erinnern mich an Catweazle, den zerzausten Zauberer aus der englischen Kult-Kinderserie der Siebzigerjahre. Es würde mich nicht wundern, wenn ihm gleich seine treue Gefährtin Kühlwalda unkend aus der Tasche spränge.
»Von hier bist du aber nicht«, bemerke ich und greife nach dem Brot, zerteile es in der Mitte und gebe dem Mann eine Hälfte zurück. Der öffnet die Flasche, schnallt sich eine verbeulte Blechtasse vom Gürtel und füllt sie bis zum Rand. Ich schütte mir ebenfalls meinen Kaffeebecher voll. Da sitzen wir nun. Abwartendes Schweigen umgibt uns.
Der Alte nickt und prostet mir zu, ich erwidere die Gesten.
»Kannst du sie hören?«, fragt er. Oha, denke ich, wo der wohl ausgebüchst ist. Ganz eins mit der Umgebung, mich nicht berücksichtigend, spricht er weiter:
»Die Natur. Ich kann sie hören. Sie erzählt Geschichten. Die Bäume raunen und zanken, früher wäre es besser gewesen. Sie wären bunt gemischt, hätten sich nicht gegenseitig das Futter streitig gemacht, sich nicht um das Licht gestritten. Das Wasser beschwert sich rauschend über seinen Gehalt an Metall. Die Pfeiler wären wie Speerspitzen und obenauf paddelt der Mensch, kitzelt und pisst – ha.«
»Ja, ich kann es hören. Doch am lautesten höre ich den Fisch. Der lacht uns schallend aus.«
In Wahrheit höre ich nur den Strom des vorbeirasenden Verkehrs hoch oben auf der A 45, das Plätschern des herabprasselnden Wassers des Weihers in einen kleinen Bach und das Schäumen und Gurgeln meines penetrant knurrenden Magens.
»Ach was«, der Alte macht eine wegwerfende Handbewegung, »warum solltest du anders sein als all die anderen Ahnungslosen?« Ich bin nicht mehr wütend und auf Krawall aus, lasse seine Provokation vorbeiwehen. Der italienische Wein auf nüchternen Magen stimmt mich milde.
Ich schenke nach und zwischen den Schlucken überwiegen Kaugeräusche. Besonders die des Alten. Sein Gebiss wackelt. Klappernd und knackend mahlt es aufeinander wie Waschkies zwischen Mühlsteinen, wenn er die Kruste kaut. Beim Abbeißen muss er gleichzeitig geräuschvoll ansaugen, sonst ist
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