Tor der Daemmerung
kleineren Gruppe zurück und suchte mir hinter dem Haus ein Stück freie Erde. Zekes leise, traurige Stimme folgte mir in die Dunkelheit.
25
Zum Glück wurde ich diesmal nicht von Albträumen heimgesucht. Aber das beunruhigende Gefühl der Dringlichkeit war auch am nächsten Abend noch da, als ich mich aus der Erde erhob und mir den Dreck aus Haaren und Klamotten schüttelte. Irgendwo da draußen war Kanin. In Not. Vielleicht konnte er ja gar nicht gerettet werden. Vielleicht bedeutete die unheimliche Stille in meinen Träumen, dass er bereits tot war. Aber ich konnte ihn nicht im Stich lassen. Ich musste zumindest versuchen, ihn zu finden.
Und zwar bald.
Gedankenverloren zog ich mir einen Erdklumpen aus den Haaren. Als ich mich umdrehte, stand plötzlich Caleb vor mir und musterte mich durchdringend.
Seine Augen waren rot und geschwollen, in seinem Gesicht klebten Dreck und getrocknete Tränen; wo er sich über die Wangen gewischt hatte, war beides verschmiert. Mit einem trüben, tränenlosen Blick sah er mich an, ernst und ohne ein Zeichen von Angst.
»Sie haben Ruth in die Erde gelegt«, erklärte er schließlich. Irgendwo in der Ferne grollte leiser Donner. Hinter dem Jungen zuckte ein Blitz über den Himmel. Offenbar stand uns ein Gewitter bevor.
Ich nickte und wartete ab, worauf er hinauswollte.
»Aber du bist wieder rausgekommen«, stellte Caleb mit einem Blick auf die zerwühlte Erde hinter mir fest. Er tappte näher heran und sah hoffnungsvoll zu mir hoch. »Du bist rausgekommen, also … vielleicht kommt Ruth ja auch zurück? Wir könnten warten. Wir warten, bis sie zurückkommt, genau wie du.«
»Nein, Caleb.« Traurig schüttelte ich den Kopf. »Bei mir ist das anders. Ich bin ein Vampir.« Ich hielt inne, um zu sehen, ob ihm das Angst machte. Offenbar nicht. Dann ging ich in die Knie, nahm seine Hand und starrte auf die schmutzigen kleinen Finger. »Ruth war ein Mensch«, flüsterte ich. »Genau wie du und Zeke und alle anderen. Sie wird nicht zurückkommen.«
Calebs Lippen bebten. Ohne jede Vorwarnung stürzte er sich auf mich und trommelte mit seinen kleinen Fäusten gegen meine Schultern. »Dann mach, dass sie ein Vampir wird!«, schluchzte er. Ihm stiegen erneut Tränen in die Augen. Überrascht zuckte ich zusammen, ich hatte keine Ahnung, was ich jetzt tun sollte. »Mach, dass sie zurückkommt«, schrie er mich an. »Bring sie zurück, sofort!«
»Hey, hey, Caleb!« Plötzlich war Zeke da, packte den Jungen am Handgelenk und zog ihn in seine Arme. Heulend vergrub Caleb das Gesicht an seiner Schulter und schlug ihm schwach gegen die Brust.
Zeke hielt ihn fest, bis er sich wieder beruhigt hatte, dann flüsterte er ihm etwas ins Ohr. Caleb schniefte.
»Ich habe keinen Hunger«, murmelte er.
»Du solltest trotzdem etwas essen«, beharrte Zeke und strich dem Kleinen das Haar aus der Stirn. Auch er hatte gerötete Augen, die von tiefen Schatten umgeben waren, so als hätte er überhaupt nicht geschlafen. Schniefend schüttelte Caleb den Kopf und zog einen Schmollmund. »Nein?«, hakte Zeke mit einem schmalen Lächeln nach. »Weißt du, Teresa hat im Keller Apfelgelee gefunden. Und Pfirsichmarmelade. So richtig süße.«
Das weckte immerhin ein verhaltenes Interesse. »Was ist Apfelgelee?«
»Frag sie doch einfach, ob du welches haben kannst«, schlug Zeke vor und ließ ihn los. »Sie sind alle in der Küche. Aber du solltest dich beeilen, bevor Matthew alles aufisst.«
Caleb tappte mürrisch davon, aber wenigstens schien er sich ein wenig ausgeweint zu haben. Sobald er um die nächste Ecke verschwunden war, rieb sich Zeke mit einem erschöpften Seufzer die Augen.
»Hast du überhaupt geschlafen?«, fragte ich.
»Eine Stunde vielleicht.« Zeke ließ die Hand sinken, sah mich aber nicht an, sondern starrte auf das zugewucherte Feld jenseits des Zauns. »Ich habe in der Garage etwas Benzin gefunden«, erzählte er dann. »Und im Keller stehen ungefähr ein Dutzend Gläser mit Eingemachtem, wir sollten also eine weitere Nacht über die Runden kommen.« Erschöpft ließ er den Kopf hängen. »Du hast Caleb erklärt, dass Ruth nicht zurückkommen wird?«
Ich verkrampfte mich kurz, nickte dann aber. »Er musste das hören. Ich wollte ihm keine falschen Hoffnungen machen, er sollte nicht glauben, dass seine Schwester noch leben könnte. Das wäre grausam gewesen.«
»Ich weiß.« Endlich drehte sich Zeke zu mir um, und ich war entsetzt über die Trostlosigkeit, die sich in seinem Gesicht
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