Tore der Zeit: Roman (German Edition)
geht: Das dürfte sie brennend interessieren! Vielleicht meldet sie sich bei mir, wenn sie mich im Fernsehen sieht. Dann weiß ich endlich, ob es ihr gut geht.
Noch ein letztes Wort zu meinem Begleiter. Jeder Kandidat darf doch jemanden ins Studio mitbringen, der im Publikum sitzt. Zur Unterstützung. Also, ich würde gerne mit Lucian kommen. Er hat geschworen, mich überallhin zu begleiten. Er würde sogar zum WizzQuizz mitkommen. Zumindest hat er das gesagt. Deshalb würde ich ihn gerne angeben – als meinen Begleiter bei der Show.
Das ist alles, was es über mich zu sagen gibt. In Ihrer Ausschreibung steht, dass Sie auch ein Foto von den Kandidaten haben wollen. Ich hänge Ihnen eines an diese E-Mail an. Und jetzt hoffe ich wirklich sehr, dass es klappt und ich eingeladen werde.
Viele Grüße,
Ravenna
Anhang: ravenna.jpg
Licht und Schatten
Paris, Februar 2012
»Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zu einer weiteren Runde des WizzQuizz!«
Die Stimme des Ansagers dröhnte aus den Lautsprechern, der Sprecher selbst blieb außer Sicht. Als die Fanfare ertönte und die Scheinwerfer sie erfassten, bereute Ravenna sofort, dass sie sich für das Duell der Zauberer und Hexen beworben hatte.
Sie saß auf einem hohen Hocker in der Mitte des Studios, die Absätze fest in den Stahlring gehakt. Die Scheinwerfer waren wie kleine Kanonen, die pochend heiße Lichtstrahlen auf sie abfeuerten. Das Studio lag im 6. Pariser Stadtbezirk, am schicken Boulevard Saint-Germain. Als Kulisse war aus Styroporsteinen ein mittelalterlicher Ballsaal errichtet worden. Neben blinden Schießscharten flackerten elektrische Fackeln. Beim Einzug des Publikums schwenkten rotgolden gekleidete Herolde Banner mit dem Logo der Show. Unter den Zuschauerbänken lag künstliches Stroh.
Etliche Hundert Augenpaare waren auf sie und ihren Gegner gerichtet. Daheim an den Bildschirmen waren es noch mehr – genug, dass ihr ganz mulmig wurde. Das Gewummer aus den Boxen vibrierte in ihrem Körper.
»Als Favoriten des heutigen Abends begrüßen wir wieder einmal Vadym, der bereits zum siebten Mal am Quiz der Zauberer teilnimmt! Mal sehen, ob er es diesmal in die nächste Runde schafft!«
Gejohle und Geschrei. Eine rothaarige Verehrerin des Russen war auf die Bank geklettert und tanzte in einem T-Shirt, das mit Kussmündern übersät war. Auf der Rückseite war das CD-Cover irgendeiner Gothic-Rockband abgedruckt. Man sah es, als die Rothaarige auf und ab hüpfte und sich dabei drehte.
Nervös schob Ravenna das feuchte Taschentuch von einer Hand in die andere. Der Favorit lehnte ihr gegenüber in unverschämt lässiger Haltung an seiner Konsole. Vadym trug ein Hemd, das statt eines Kragens eine altmodische, um den Hals gewickelte Schleife hatte. Dazu passte seine durchgestylte Frisur. In Gegensatz zu seiner ansonsten makellosen Erscheinung stand nur die ausgebeulte, abgewetzte Jeans.
Sein Lächeln ließ keinerlei Nervosität erkennen. Vadyms messinggelbe Augen glitzerten, und Ravenna fragte sich insgeheim, welche Gabe er wohl besaß. Vadym war der Favorit der Show. In den letzten Wochen hatte er alle anderen Kandidaten aus dem Rennen geworfen und war jedes Mal an den letzten drei Aufgaben gescheitert. Im letzten Frageblock ging es nämlich um praktisch angewandte Magie, nicht bloß um die Theorie der Hexerei.
Doch gerade dieses Scheitern machte Vadym zur Kultfigur, zum tragischen Helden des WizzQuizz. Im Internet schlossen die Leute bereits Wetten ab, ob der Russe jemals den Sprung in die nächste Runde schaffen würde. Es gab Vadym-Hasser und Vadym-Fans, die ihm online ewige Liebe schworen. Die Rothaarige in der letzten Reihe gehörte offenbar dazu. Sie kreischte und jubelte ihrem Liebling bei jeder Gelegenheit zu. Obendrein kursierten jede Menge Vadym-Witze. Die meisten fingen so an: Sitzt ein Russe in einer Rateshow …
»Und nun zu Vadyms Herausforderin: Ravenna kommt aus Straßburg und ist, wie sie selbst sagt, eine echte Hexe.«
Höflicher Applaus. Dazwischen einzelne Buhrufe. Ravenna drehte sich um, um die Krakeelerin wütend anzufunkeln. Aber die rothaarige Gothic-Rockerin hatte sich schon wieder hingesetzt.
Die Kamera schweifte durch den Saal. Das Publikum war bunt gemischt. Ravenna entdeckte Schamanen mit elegant gestutzten Bärten, weiß gekleidete Druiden und Hellseher mit funkelnden Ringen an den Fingern. Neuzeitliche Hippiehexen saßen neben düster geschminkten Mystikerinnen, und es gab gewiss auch den einen oder anderen
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