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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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widerspenstiges Huhn zurück ins Geflügelgatter treiben. Aber Ravenna wollte auf keinen Fall wieder auf dem Hocker Platz nehmen – sie wollte nur noch eines: weglaufen und sich in Sicherheit bringen. Das ganze schöne Geld war ihr in diesem Moment egal.
    Hilfesuchend drehte sie sich zu Lucian um. Ihr Ritter würde nicht zulassen, dass Beliar sie in die Enge trieb und Rache nahm – und ja: Er hatte Grund zur Rache. Einen schrecklich schwerwiegenden Grund sogar. Sie hatte sich ihm in den Weg gestellt und ihm einen Denkzettel verpasst. Einen von der Sorte, die man so schnell nicht wieder vergaß.
    Offenbar hatte Lucian die Gefahr ebenso schnell erkannt wie sie. Er war im Begriff aufzuspringen – und sank dann auf die Bank zurück. Mit einem Nicken zeigte er ihr, wohin sie schauen sollte.
    Sämtliche Scheinwerfer und Kameras waren auf sie gerichtet. Ihr Gesicht flackerte überlebensgroß auf der Studioleinwand und wurde zeitgleich auf die heimischen Fernseher übertragen. Alle Zuschauer konnten sehen, wie verstört sie in diesem Augenblick war. Beliar hatte wirklich nichts dem Zufall überlassen.
    »Und da ist er!«, schrie der unsichtbare Moderator. »Ich bitte um einen tosenden Applaus für Beliar Le Malin!«
    Ein dritter Hocker wurde aus dem Boden gefahren. Beliar nahm Platz und stellte beide Koffer vor sich auf die Tischplatte. Die Koffer enthielten die beiden Preise, zwischen denen der Sieger des Abends wählen musste. Ein magisches Gitter formte sich, und ein Raunen ging durch das Publikum.
    »Setzen Sie sich! Setzen Sie sich wieder hin, verdammt noch mal! Das ist eine Live-Show«, zischte der Techniker Ravenna ins Ohr. Er versuchte, sie in Richtung ihres Hockers zu schieben.
    Sie stemmte die Füße in den Boden und sperrte sich. Das Blut rauschte in ihren Adern. Niemand schien sich an der Gegenwart des Größten aller Schwarzmagier zu stören. Im Gegenteil – Beliar sonnte sich mit sichtlichem Behagen im Scheinwerferlicht und wurde dabei auch noch beklatscht.
    »Hinsetzen und zwar sofort!«, fauchte der Techniker. »Vergessen Sie nicht, dass Sie einen Vertrag unterschrieben haben! Sie werden diesen Abend nicht ruinieren – es sei denn, Sie wollen den Sendezeitausfall bezahlen.«
    Widerstrebend ließ sich Ravenna zu ihrem Platz bugsieren. Der Techniker hatte recht: So leicht kam sie nicht mehr aus der Nummer raus. Sie hatte tatsächlich unterschrieben, dass sie diese Runde bis zum Ende durchhielt. Mit allen Konsequenzen. Es gab kein Zurück mehr.
    Sie atmete durch und rutschte auf den Hocker. Eines musste man ihm lassen: Beliar hatte seinen Auftritt ganz ausgezeichnet eingefädelt. Offenbar wusste er genau, welche Wirkung sein unerwartetes Erscheinen auf sie haben musste – zuletzt hatte sie ihn lichterloh brennen sehen. Damals hatte sie geglaubt, dass er für immer gebannt war, versteinert durch den Fluch der Sieben. Aber irgendjemand hatte den Fürsten der Finsternis befreit. Und nun stellte er die Fragen.
    »Bravo! Bravo!«, rief er und verneigte sich in Richtung der Zuschauer. Es war nicht ganz klar, ob er mit den Hochrufen sich selbst meinte oder seine Kandidaten. »Bravo, meine Damen und Herren hier im Saal, verehrte Zuschauer an den Bildschirmen! Unser Favorit Vadym hat also eine neue Herausforderin, und zwar eine, wie ich meine, ganz bezaubernde junge Hexe!«
    Die Kameras zoomten sie noch näher heran. Ravenna zwang sich zu einem Lächeln. In der Maske hatte man seltsame Dinge mit ihrem Haar angestellt. Es glänzte und ringelte sich um ihre Schultern. Ganz gegen ihre Gewohnheit war sie geschminkt. Besonders ihre grauen Augen hatten es der Visagistin angetan. Sie erkannte sich selbst kaum wieder. Verwirrt betrachtete sie sich auf der Leinwand und stellte fest, dass sie total verkrampft wirkte.
    »Bleib ganz locker«, spottete Beliar auch sogleich. »Die Auswahlrunde hast du bereits für dich entschieden, denn du warst einen Tick schneller als unser russischer Freund. Willst du unseren Zuschauern verraten, was du von Beruf bist?«
    Es war nicht üblich, dass der Showmaster die Gäste des Abends duzte. Aber niemand schien daran Anstoß zu nehmen.
    »Steinmetzin«, brachte Ravenna hervor. Ihre Zunge fühlte sich an wie Papier. Im Studio wurde es mucksmäuschenstill. Die Lampen summten. Sie räusperte sich. »Ich bin Steinmetzin«, wiederholte sie. »Ich halte historische Gebäude instand. Kathedralen. Alte Statuen.«
    Sie schaute Beliar in die Augen. Dieser Mistkerl. Er hatte ihr eine Falle gestellt und

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