Tore nach Thulien 1 : Dunkle Gassen (German Edition)
auch. Sofort umfing ihn wieder die warme, stickige Luft der Kneipe, und voller Vorfreude auf die nächste Runde machte er sich auf den Weg zurück zur Theke.
Schlaf der Schatten
Shachin lief durch die nächtlichen Gassen Leuenburgs. Sie wusste genau, wo sie hinwollte. Die Stadtwache hatte sie in den Schatten nicht entdeckt und nun war sie auf dem Rückweg zu ihrem Versteck. Es war nicht ihre Art, sich irgendwo offiziell einzuquartieren. Lieber suchte sie sich versteckte, unbelebte Ecken. Dort war sie vor unliebsamen Besuchern geschützt und für sich allein. Das Herdenverhalten der Menschen sagte ihr nicht sonderlich zu und gerne mied sie auch die großen Städte des Reiches. Mit der Tatsache, dass aber meist gerade dort die lukrativsten Aufträge auf sie warteten, hatte sie sich jedoch arrangiert.
Das Adrenalin pulsierte noch durch ihre Adern. Geschmeidig und unentdeckt hastete sie zwischen den Häusern hindurch. Außer ein paar hoffnungslos Betrunkenen begegnete ihr keine Menschenseele.
Sie dachte immerfort an den unheimlichen Gegner von eben. Wer war er? Wo kam er her? Sie hatte seinen Kampfstil schon einmal gesehen, dessen war sie sich sicher. Ob es damals aber auch gerade Er war, konnte sie nicht mehr sagen. Ein Meister war er, so viel stand fest. In ihren Kreisen Meister der Klingen genannt. Jemand, der sein Wissen weitergab und einen Schüler hatte. Jemand, der selbst jahrelang gelernt hatte, dann sein Wissen in der Praxis anwandte und vertiefte und nun selbst, mit eigenen Techniken und Finessen versehen, weitergab. Sie kannte sich in ihren Berufskreisen recht gut aus, und sobald sie in ihrem Versteck angekommen war, wollte sie nochmals versuchen, sich zu erinnern. Unstrittig war, dass es immer zwölf Großmeister verteilt auf das Reich gab. Ein jeder mit eigenem Unterschlupf und Schülern. Wenn ein Großmeister starb, wählten die übrigen einen neuen. So war immer gewährleistet, dass es für jede Technik einen eigenen Großmeister gab. Shachin kannte drei der Großmeister persönlich, war sie doch bei ihnen in die Lehre gegangen. Zwei weitere waren ihr vom Sehen geläufig, doch die anderen sieben lagen im Dunkeln.
Shachin verhielt immer wieder in ihrem Lauf und lauschte. Sie musste sicher sein, dass ihr der Meister , wie sie ihn von nun an nennen wollte, nicht folgte. Der sichere Unterschlupf war wichtig. Ein Ort der Regeneration und Ruhe. Es musste ihr solange gelingen, das Versteck geheim zu halten, bis die Reise in den Norden begann. Dann, so ihr Plan, hatte sie die Gelegenheit, eine Zeit lang abzutauchen, von der Oberfläche zu verschwinden. Schon bevor sie vor einigen Tagen in Leuenburg angekommen war, hatte sie diesen Entschluss gefasst. Nun, mit dem Auftauchen dieses ernstzunehmenden Gegners, hatte sich nichts daran geändert, eher im Gegenteil. Sie musste weg aus den nördlichen Herzogtümern. Einige Zeit warten, bis Gras über die Sache gewachsen war, und das Siedlungsprojekt im Wilderland war wie geschaffen dafür.
Einige Minuten und ein paar geschlagene Haken später erreichte sie den Westen der Stadt. Jetzt war es nicht mehr weit. Die alte, verfallene Kapelle lag direkt an der Stadtmauer, knapp unterhalb des Grünwalder Tores. Sie war kaum besucht, und die wenigen Gläubigen, die hier ihren Dienst an der Herrin verrichteten, blieben nie lange.
Leise und vorsichtig näherte sie sich dem alten Gemäuer. Vielleicht wusste der Meister bereits um ihren Aufenthaltsort und wartete hier auf sie. Wobei das äußerst unwahrscheinlich war. Shachin hatte zwar den einen oder anderen Umweg in Kauf genommen, war aber dennoch schnell und ohne langen Aufenthalt gelaufen. Er hätte schon Flügel besitzen müssen, sollte er nun vor ihr hier sein.
Das schwarze Leichentuch der Nacht lag ruhig und still auf der Kapelle. Von oben drang kein Licht in die Senke hinab und nur die kleine Kerze, die immer im Fensterbogen hinter dem Altar brannte, sorgte für einen fahlen Lichtschein. Die letzte Stunde vor der Dämmerung war kalt und ab und an trieb ein leichter Wind die Schatten der Kerze tanzend und springend über den verwitterten Stein.
Shachin sah die Gestalt erst, als sie die Wegbiegung des Steiges hinter sich hatte. Stumm und unbeweglich kniete jemand vor dem Altar. Sofort verschwand Shachin im Schatten eines Findlings, und plötzlich lag auch wieder der Dolch in ihrer Hand. Auf den ersten Blick hatte sie gesehen, dass es nicht der Meister war und
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