Tore nach Thulien 1 : Dunkle Gassen (German Edition)
verletzt oder auf irgendeine Weise beeinträchtigt. Dann war Taris am Angreifer heran. Ihm war klar, dass er äußerst vorsichtig vorgehen musste. Er trug keine Rüstung und das Gras war feucht. Ohne Stiefel würde es schwer werden, nicht auszurutschen. Nachdem er keinen Schild mitgenommen hatte, nahm er das Schwert in beide Hände. Sein Gegner hatte ihn inzwischen bemerkt und drang sofort auf ihn ein. Noch im Voranstürmen entledigte sich dieser seiner Fackel und warf sie im hohen Bogen auf das Dach des Wagens. Taris entging die Bewegung nicht, doch konzentrierte er sich nur noch auf den bevorstehenden Zusammenprall. Er wusste, dass sein Gegenüber ein sehr ernstzunehmender Gegner war. Immerhin hatte er mühelos vier Wachen überwältigt. Die Garnison war mittlerweile zum Leben erwacht. Die Gänge hallten wider von den Stiefeltritten der Soldaten, und Waibel erteilten ihren Männern laut schreiend Befehle. Noch war der Innenhof außer den beiden Kontrahenten leer, doch in wenigen Augenblicken würde sich das ändern. Einige der Männer hatten ihren Hauptmann wohl erkannt, denn aufgeregt und mit ausgestreckten Armen zeigten sie nach unten in den Innenhof.
Funken schlagend trafen die beiden Waffen aufeinander. Die eine ein filigraner, gebogener Dolch und die andere ein Langschwert in der typischen Art der Leuenburger Stadtwache. Noch war nicht klar, welcher der beiden Kämpfer die Oberhand gewinnen würde. Beide fochten sowohl im Angriff als auch in der Verteidigung. Doch obwohl der Kampf bisher nur Sekunden dauerte, kam er Taris schon jetzt wie eine Ewigkeit vor. Jede Bewegung, jede Aktion lief wie in Zeitlupe ab, war rein instinktiv und automatisch. Keine Zeit zum Denken, nur noch Aktion und Reaktion ohne jede Möglichkeit der Reflektion. Der schwarz Gekleidete kämpfte außergewöhnlich gut und irgendwie fremdartig. Seine Bewegungen entsprangen nicht der klassischen Schule des Reiches. Noch konnte Taris mithalten, doch ahnte er bereits, dass er dem Schwarzen unterlegen war. Der dachte scheinbar ähnlich und griff erneut an. Taris riskierte einen kurzen Blick auf die Gänge und Flure der Garnison. Immer mehr Wachen traten aus ihren Kammern, manch eine sogar voll gerüstet, die meisten aber, wie auch Taris, nur in leichter Bettbekleidung. Scheinbar hatte der Angreifer Taris Blick bemerkt, denn er unterbrach den Kampf sofort. Einen kurzen Moment noch zögerte er, dann aber drehte er sich um und rannte nach Osten, auf die Garnisonsmauer zu. Das Tor war verriegelt, dort konnte er nicht raus. Taris schaltete sofort und rief:
>> Die Mauer! Er will über die Mauer! <<
Einige der Wachen hatten verstanden und versuchten, dem Eindringling den Weg abzuschneiden. Leider vergebens. Nur eine war schnell genug und stellte sich dem Schwarzen in den Weg. Im nächsten Moment war sie tot. Ein fingerdicker Eisendorn hatte sich tief in ihr linkes Auge gebohrt. Taris nahm sofort die Verfolgung auf. Noch im Laufen erkannte er einen Waibel und brüllte: >> Ihr schwingt Euch sofort auf Euer Pferd. Sobald der Attentäter hinter der Mauer ist, müssen wir schneller sein als er! << Er machte eine befehlende Geste und der Waibel nickte stumm. Sofort wandte der sich ab, gab einigen Männern Zeichen und lief in Richtung Stallungen. Taris, noch immer barfuss und nur mit Lederhose und Leinenhemd bekleidet, hatte sein Schwert mittlerweile in die Scheide geschoben und war dem Angreifer dicht auf den Fersen. Jetzt sitzt du in der Falle , dachte sich Taris. Hier kommst du nicht mehr raus . Siegessicher beschleunigte der Hauptmann nochmal seine Schritte. Die Hand ging an das Heft seines Schwertes. Gleich würde er ihn haben. Unerwartet hörte er im nächsten Moment einen dumpfen Einschlag in die Wand vor sich, und der Schwarze begann plötzlich damit, die Mauer hochzuklettern. Irritiert und verunsichert musste Taris mit ansehen, wie ihm der sicher gefangen geglaubte Fremde auf den letzten Metern doch noch zu entkommen drohte. Jetzt war er schon auf der Mauerkrone und dann kippte er nach hinten weg. Kurz entschlossen lief Taris weiter. Erst kurz bevor er die Mauer erreichte, sah er das Seil, das im oberen Drittel der Mauer an einem Eisenbolzen hing. Taris sprang ab und griff nach dem Seil. Mit ein paar kräftigen Zügen gelangte er auf demselben Weg nach oben, wie noch vor wenigen Augenblicken der Attentäter. Schon hatte er die Krone erreicht und sah runter. Er hörte Schritte und sah einen Schatten über die Gasse
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