Tote Hunde beißen nicht: Bröhmann ermittelt wieder (German Edition)
doch stattdessen sagt er: «Komm, ich brüng dich hin. Haste jetzt ein Verhör?»
«Ich?»
«Na, wer denn sonst?!»
«Ach so, jaja, so was in der Art. Aber ist wirklich nicht nötig, mich zu begleiten, ich kenne den Weg.»
«Umso besser», bleibt der Böschi hartnäckig. «Ich arbeite erst seit letzter Woche hier. Da kennst du dich wahrscheinlich besser aus als ich, was?»
Ich zucke mit den Schultern und antworte darauf nichts. Der Böschi blättert in einem dicken Schnellhefter herum, den er schon die ganze Zeit in seiner linken Hand hält.
«Ich bin ja hauptsächlich für die Angehörigenbesucher zuständig», fährt er fort, «für die armen Säue, weißte, für alle, die hier ihre Mutter, Frau oder Tochter oder so besuchen müssen. Würklich unfassbar, dass Frauen Kinder in die Welt setzen und trotzdem krüminell werden. Da muss ich mich erst noch dran gewöhnen … wie gesagt, bin ja noch neu hier.»
Verständnislos schüttelt er seinen dicken Kopf. «Wo hast du denn jetzt deine Befragung?»
Während ich noch nach einer Antwort suche, ruft er plötzlich: «Das gibt’s ja nüch!», und deutet auf eine Liste in seinem Schnellhefter. «Hier bei uns sitzt eine ein, die heißt auch Bröhmann. Das ist ja ein Zufall.»
Zunächst lacht er, der Böschi, dann so ganz langsam, so nach und nach verebbt sein Lachen, und am Ende ist er stumm, der Böschi, und blickt mich nur noch sehr nachdenklich an.
«Ja, ich weiß», sage ich. «Franziska Bröhmann, meine Frau, Totschlägerin im minder schweren Fall und die Mutter meiner beiden Kinder. Die treffe ich jetzt da drüben im Besucherraum. Tschüs, Böschi, mach’s gut, wer immer du auch bist.»
Ich lasse den Böschi mit offenem Mund da stehen, wo er ist, und gehe zielstrebig weiter.
Heute habe ich mich allein aufgemacht, da unser Sohn Laurin sich an diesem Samstag auf einem F-Jugend-Fußballturnier abwechselnd von bildungsfernen Trainern und akademischen Fanmüttern anschreien lässt und Tochter Melina am Eröffnungshappening eines amerikanischen Hähnchenmüllrestaurants in Gießen teilnimmt.
Sosehr diese Besuche Routine geworden sind, so unwirklich kommen sie noch immer daher. Schlappe fünf Prozent aller Häftlinge in Deutschland sind Frauen, und ausgerechnet meine eigene ist eine von ihnen.
Inzwischen haben wir uns damit arrangiert. Was bleibt uns auch anderes übrig? Es ist nun mal so, wie es ist. Am besten scheint Franziska selbst mit dieser Situation klarzukommen. Jedenfalls macht sie den Eindruck.
In der Gefangenschaft wirkt sie befreiter als noch im letzten Jahr, bevor sie zur Polizei gegangen ist und alles gestanden hat. Sie hatte versucht, ein normales Leben zu führen, keine Frage. Ich auch, der sie dazu überredete, die Tat nicht zu gestehen. Für mich war sie nie schuld. Doch wen interessiert das schon? Ich gebe zu, ich bin nicht ganz objektiv, und als Polizeibeamter dürfte ich so etwas nicht einmal denken.
Drei Jahre ohne Bewährung. Der Fall war längst abgeschlossen, sie hätte es nicht tun müssen. Doch sie musste reinen Tisch machen. Für sich und für uns, ihre Familie. Davon abhalten konnte sie keiner, auch wenn sie wusste, dass sie ihre Kinder wieder alleine lassen würde. Das war der Preis, den sie zahlen musste, den wir alle zahlen müssen. Sie erzählte die ganze Wahrheit, bis auf ein winziges Detail: Mich als Mitwisser hielt sie aus der Sache raus, sodass ich weiter den Beruf des Hauptkommissars im Polizeirevier Alsfeld ausüben darf. Beziehungsweise muss.
«Hallo, du minder schwerer Fall», begrüße ich Franziska launig-nervös, setze mich ihr gegenüber an den kargen Holztisch und versuche, ihr tapfer in die Augen zu sehen.
«Hast du die Säge dabei?», flüstert sie.
«Nein, aber dafür das Heroin», scherze ich etwas zu bemüht zurück.
Meist albern wir in dieser Art herum, wenn wir uns hier sehen. Das geht am einfachsten. So halten wir uns auf einem gut zu ertragenden Abstand, und es tut nicht ganz so weh. Wir geben uns sarkastisch, ironisch und manchmal auch zynisch, vor allem dann, wenn die Kinder nicht dabei sind. Wir lachen, blödeln, erzählen uns ungehemmt Nichtigkeiten und hatten lange nicht mehr so viel Spaß zusammen wie während meiner Besuche in der Justizvollzugsanstalt 3 zu Frankfurt-Preungesheim.
Manchmal aber gelingt es nicht. Dann halten wir uns an den Händen, sehen aneinander vorbei und schweigen.
«Und, freust du dich?», fragt sie mich nach einer dieser Gesprächspausen und lächelt
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