Tote Hunde beißen nicht: Bröhmann ermittelt wieder (German Edition)
Regierungsviertel eingeladen. Wir schlafen in einem fast geräumigen Doppelzimmer Standard mit Zustellbett, meine Eltern richten sich im Zimmer neben uns ein.
Melina nimmt den skandalösen Umstand, ein Doppelbett mit ihrem Vater teilen zu müssen, erstaunlich gelassen hin. Ich selber hätte ihr gerne ein eigenes Zimmer gegönnt, kann es mir aber derzeit schlicht und ergreifend nicht leisten, da wir zurzeit «sparen» müssen. Ich hasse das. Doch zu hoch sind die Schulden und die monatlichen Abschlagszahlungen für unsere Doppelhaushälfte in Bad Salzhausen, und zu wenig verdient Franziska als inhaftierte Totschlägerin dazu. Ich wollte meinen Eltern nicht auch noch Mehrkosten für ein weiteres Zimmer aufbürden, schon alleine, weil ich ihnen nicht noch mehr dankbar sein will. Wenn sie in drei Tagen zurückreisen, ziehen wir in eine billige, im Internet bei «hau-ab.de» oder so ähnlich gebuchte Pension um. Irgendwo weit draußen in Westberlin, wo seit der Wende keiner mehr hinwill.
An diesem frühen Abend allerdings schleppen wir uns dahin, wo alle Touristen hinwollen: zum Brandenburger Tor und zum Reichstag.
Müde und erstaunlich friedlich nehmen wir danach ein gemeinsames Buffet-Abendessen im Restaurant unseres Hotels ein, ehe sich jeder zum Schlafen in sein Zimmer zurückzieht.
Am nächsten Morgen betritt mein Vater den stickigen Frühstücksraum unseres Hotels und hält nach mir und den Kindern Ausschau. Wir frühstücken bereits seit einer knappen Viertelstunde und winken ihn zu uns. Hunde haben zu diesem Raum zu Recht keinen Zutritt und sind somit im Zimmer zurückgeblieben.
«Wo ist denn Mutter?», frage ich ihn, nachdem wir uns alle wechselseitig einen guten Morgen gewünscht haben.
«Sie hat die ganze Nacht gespuckt», sagt er.
«Wohin?», fragt Laurin, der sich gerade ein siebtes Bratwürstchen auf seinen Teller geholt hat.
«Oje», mache ich.
«Und warum?», fragt Laurin nach. «Warum spuckt die Oma die ganze Nacht?»
«Na, weil ihr blümerant zumute war», antwortet mein Vater und nimmt an unserem Tisch Platz.
Laurin blickt mich fragend an.
«Ei, gekohotzt, Mann, Laurin, gekotzt hat sie. Spucken heißt kotzen», bollert Melina durch den Frühstücksraum, dass die Gespräche an den anderen eng aneinandergestellten Tischen schlagartig verstummen.
«Darf es für Sie auch Kaffee sein?», fragt in diese Stille eine scheue, winzige rothaarige Hotelangestellte mit albernem Schürzchen meinen Vater.
Die Ruhe im Raum wird allerdings jäh durchbrochen, als acht Frauen am Nachbartisch Platz nehmen. Sie tragen allesamt türkise T-Shirts, die wie Pellen an ihren Körpern kleben. «Bowling Bitches Bottrop», lese ich auf ihren Rücken. Nicht alle Rücken können entzücken. Die «Bowling Bitches» haben gute Laune, sehr gute Laune, und alle sollen es wissen.
Und das tun wir dann auch sehr schnell, ob wir wollen oder nicht.
«Dann kommt Mutti wohl nicht mit zur Beerdigung, oder?», frage ich meinen Vater. Er schüttelt den Kopf. «Ich denke, da bleibt man besser im Bett.»
«Ich kümmere mich um Oma», sagt Melina friedlich und nippt an ihrem O-Saft. Im ersten Moment traue ich dem Frieden nicht. Da muss doch noch irgendwas Patzig-Pubertäres nachkommen. Tut es aber nicht. Da ändert sich schon seit geraumer Zeit mal wieder etwas bei meiner Tochter.
Voll innerem Frieden blicke ich zu meinen beiden Kindern, da kreischen mit einem Mal die Bottroper Wurstpellenbitches vom Nachbartisch kollektiv so spitz auf, dass mein Vater vor Schreck Kaffee verschüttet. Normalerweise ist es doch schön, wenn Menschen Freude haben und lachen. Hier nicht. Vielleicht bin ich aber auch nur ein wenig neidisch, da ich es beispielsweise nie hinbekommen habe, unbeschwert geselligkeitsspaßig mit Bollerwagen und anderen Mitmännern an «Vatertagen» durch Wälder zu saufen oder gute Laune bei Junggesellenabenden zu entwickeln. Die Bowlingbratzen erheitern sich im Übrigen ausgelassen an Zweideutigkeiten rund um das Wort Ei.
Als der Lautstärkepegel so weit nach oben ausschlägt, dass es auch an unserem Tisch nahezu unmöglich wird, sein eigenes Wort zu verstehen, steht mein Vater, der in der Nacht aufgrund seiner sich übergebenden Ehefrau kaum ein Auge zugedrückt hat, von seinem Platz auf, knöpft sich mit all seiner angeborenen Autorität sein dunkles Jackett zu, zieht die Krawatte nach, geht mit ruhigen Schritten zum Bitches-Tisch, räuspert sich kurz und spricht mit klarer, durchdringender Stimme:
«Kann man hier
Weitere Kostenlose Bücher