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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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versteckt sich der Mörder höchstwahrscheinlich hier. Ihn werden wir suchen.«
     
    Vom Hause des Generalgouverneurs fuhr der Sonderbeauftragte geradenwegs zur Gendarmerieverwaltung in die Malaja Nikitskaja. Unterwegs im Schlitten des Fürsten, einem geschlossenen, mit blauem Samt ausgeschlagenen Gefährt, überlegte er, wie er mit Swertschinski umgehen sollte. Die Hypothese, der Oberst – für den Fürsten und Wedischtschew seit vielen Jahren eine Vertrauensperson – könnte in Verbindung zu den Revolutionären stehen, bedurfte einer lebhaften Phantasie, doch damit war der Staatsrat nun einmal gesegnet, und außerdem hatte es in seinem an Abenteuern reichen Leben schon handfestere Überraschungen gegeben.
    Was also ließ sich sagen über den Obersten des Sondergendarmeriekorps Stanislaw Swertschinski?
    Verschlossen war er, gewitzt, ehrgeizig, zugleich übervorsichtig, am liebsten im Schatten agierend. Ein pedantischer Beamter. Geduldig auf seine Stunde wartend, und die schien ihm zu schlagen: Noch war er nur amtierender Chef der Behörde, doch würde er in diesem Amte bestätigt werden, und es sah ganz danach aus, dann wären ihm die allerappetitlichsten Karriereaussichten eröffnet. Wobei man in Moskau genauso wie in Petersburg wußte, daß Swertschinski ein Mann des Generalgouverneurs war. Sollte der Fürst tatsächlich gen Nizza verschwinden, aufs Altenteil abgeschoben, so konnte es passieren, daß der geneidete Posten dem Obersten nicht erhalten blieb. General Chrapows Tod mußte also für Swertschinskis Karriere ein betrübliches, wenn nicht fatales Ereignis sein. So schien es zumindest auf den ersten Blick.
    Von der Twerskaja zur Malaja Nikitskaja war es nicht weit. Wäre der Wind nicht gewesen und das Schneetreiben, Fandorin hätte die Strecke lieber zu Fuß zurückgelegt – im Laufen denkt es sich besser. Schon ging es herunter vom Boulevard.Der Schlitten glitt längs des gußeisernen Gitterzauns vor dem Hause des Barons Ewert-Kolokolzew, in dessen Seitenflügel Fandorin logierte; zweihundert Meter weiter tauchte die wohlbekannte weiß-gelbe Villa mit dem gestreiften Büdchen neben dem Portal aus dem Schneegestöber.
    Fandorin stieg aus, hielt den Zylinder fest, der sogleich wegfliegen wollte, und rannte die glatten Stufen hinauf. Der altbekannte Wachtmeister im Vestibül salutierte zackig.
    »Er ist bei sich und wartet schon«, meldete er, der Frage zuvorkommend. »Den Pelz und die Kopfbedeckung, wenn Hochgeboren erlauben. Ich bringe die Sachen in die Garderobe.«
    Fandorin dankte zerstreut; er betrachtete das vertraute Interieur, als sähe er es zum ersten Mal.
    Ein Flur mit einer langen Reihe gleicher, wachstuchbezogener Türen. Die Wände in ödem Hellblau, weiß abgesetzt. Der Turnsaal am anderen Ende. Sollte man es für möglich halten, daß zwischen diesen Mauern der Hochverrat nistete?
    Im Vorzimmer tat der Adjutant Dienst, Oberleutnant Smoljaninow – ein junger Mann mit gesunder Gesichtsfarbe, flinken schwarzen Augen und verwegen gezwirbeltem Schnurrbart.
    »Wünsche wohl geruht zu haben, Herr Staatsrat«, begrüßte er fröhlich den häufigen Gast. »Ein Wetterchen, was?«
    »Jaja«, nickte Fandorin. »Darf ich?«
    Und umstandslos, wie ein alter Kollege und demnächst vielleicht Vorgesetzter es sich erlauben durfte, betrat er das Kabinett des Obersten.
    »Was sagt man in den oberen Etagen?« Swertschinski hatte sich hastig erhoben und eilte ihm entgegen. »Was meint der Fürst? Was unternehmen wir, wie gehen wir vor? Ich bin jaganz außer mir.« Und die Stimme senkend, so daß ein gräßliches Flüstern daraus wurde, setzte er hinzu: »Meinen Sie, er wird abgesetzt?«
    »Das kommt darauf an. Gewissermaßen auf uns b-beide.«
    Fandorin ließ sich in einem der Sessel nieder, der Oberst ihm gegenüber, und das Gespräch wurde sogleich amtlich.
    »Herr Oberst, ich möchte offen zu Ihnen sein. Unter uns – entweder hier bei Ihnen oder bei der Geheimpolizei – ist ein V-v-… Verräter.«
    »Ein Verräter?« Der Oberst schüttelte so heftig den Kopf, daß sein Scheitel, der die glatt gekämmte Frisur in idealer Linie halbierte, einen geringen Schaden davontrug. »Bei uns?«
    »Jawohl. Ein Verräter oder zumindest ein Schwätzer, was unter den g-gegebenen Umständen ein und dasselbe ist.«
    Der Staatsrat trug dem Gesprächspartner seine Sicht der Dinge vor.
    Erregt zwirbelte Swertschinski beim Zuhören die Schnurrbartenden. Zuletzt legte er sich die Hand auf das Herz und sagte eindringlich: »Ich

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