Tote im Salonwagen
langen, gefärbten Schnurrbart, kratzte sich hinterm Ohr, wovon das kastanienbraune Haarteil ein wenig zur Seite rutschte. Selten hatte Fandorin Gelegenheit gehabt, Moskaus Souverän in derart niedergeschlagener Verfassung zu sehen.
»Das wird mir die Petersburger Kamarilla unter Garantie nicht verzeihen«, sprach Seine Erlaucht voller Schwermut. »Das kümmert die gar nicht, daß dieser verfluchte Chrapow, Friede seiner Asche, noch nicht den Fuß auf Moskauer Boden gesetzt hatte. Klin liegt nun mal im Moskauer Gouvernement … Was meinen Sie, Fandorin, das dürfte es nun gewesen sein, oder?«
Fandorins Antwort war ein Seufzen.
Also wandte sich der Fürst an seinen Diener, der mit einem silbernen Tablett in Händen nahe der Tür stand. Auf dem Tablett allerlei Schälchen, Ampullen und ein kleines Glas mit Eukalyptusplätzchen, gut gegen den Husten. Der Diener hieß Frol – Frol Wedischtschew. Obschon er das bescheidene Amt eines Kammerdieners bekleidete, gab es für den Fürsten keinen ergebeneren und erfahreneren Ratgeber als ihn, den ausgemergelten Alten mit dem Kahlschädel, den riesigen Koteletten und den dicken Gläsern in der goldgefaßten Brille.
Mehr Personen befanden sich nicht in dem geräumigen Kabinett – nur diese drei.
»Was meinst du, mein lieber Frol?« fragte Dolgorukoi mit bebender Stimme, »Zeit für den Abgang? Und wohl gar inUnehren, aller Gunst verlustig? Statt dessen mit einem Skandal am Hals …«
»Ach, Wladimir Andrejewitsch«, entgegnete der Kammerdiener, auch er ganz weinerlich. »Dann quittiert Ihr ihn eben, den Staatsdienst. Genug gedient, gütiger Gott im Himmel, Ihr seid ja nun schon über die Achtzig … Zermartert Euch nur nicht die Seele, ich bitt Euch. Und sollte der Zar keinen guten Faden an Euch lassen, die Moskauer werden Eurer im guten gedenken. Wie auch anders, wo Ihr doch fünfundzwanzig Jährchen für ihr Wohl gesorgt habt, so manche Nacht kein Auge zugetan … Fahren wir eben nach Nizza, wo die Sonne scheint. Dort werden wir auf der Veranda sitzen und der guten Zeiten gedenken, was will man mehr auf seine alten Tage …«
Der Fürst lächelte traurig.
»Du weißt doch, Frol, daß ich dazu nicht geschaffen bin. Ohne Amt und Würden sterbe ich, binnen sechs Monaten gehe ich ein. Nur deshalb stehe ich noch fest auf den Beinen, weil mein Moskau mich stützt. Ginge es wenigstens um eine Sache, die lohnte – so aber, für nichts und wieder nichts! In meiner Stadt steht doch alles zum Besten. Nein, das ist arg …«
Auf dem Tablett in des Dieners Händen fing es leise zu klingeln und zu klirren an. Tränensturzbäche ergossen sich über seine Wangen.
»Gott ist gnädig, Wladimir Andrejewitsch, vielleicht läßt er den Kelch vorübergehen!« schluchzte er. »Was haben wir nicht schon alles durchgestanden, und der liebe Gott hat immer die Hand über uns gehalten. Unser Fandorin wird den Übeltäter auftreiben, der den General auf dem Gewissen hat, und dann haben Seine Majestät gewiß ein Einsehen …«
»Ach wo«, sagte der Fürst gedehnt, und es klang deprimiert.»Das hier berührt die Sicherheit des Staates im Innersten. Und wo die Mächtigen sich zu fürchten anfangen, da kennen sie keine Gnade. Sie müssen selber Furcht einflößen, und am allermeisten den eigenen Leuten. Damit die Bescheid wissen. Damit bei denen die Furcht vor der Macht größer ist als die vor dem Mörder. Und was auf meinem Territorium passiert, dafür habe ich geradezustehen. Nein, nur um eines bitte ich den lieben Gott: daß der Verbrecher so schnell wie möglich gefunden wird, und daß
wir
ihn finden. Damit ich wenigstens abtreten kann, ohne mich zu schämen. Mit einem würdigen Schlußstrich.« Sein Blick suchte den Sonderbeauftragten – ein Blick, in dem Hoffnung lag. »Wie schaut es aus, Fandorin, werden Sie diese KG aufspüren können?«
Fandorin zögerte mit der Antwort, er sprach leise und unsicher: »Sie kennen mich, Euer Erlaucht, ich mache ungern leere V-v-… Versprechungen. Wir können ja nicht einmal sicher sein, daß der Mörder nach vollbrachter Tat Richtung Moskau geflohen ist und nicht zum Beispiel nach Petersburg … Schließlich werden die Aktionen der Kampfgruppe von dort aus organisiert.«
»Ist ja wahr.« Der Fürst nickte vergrämt. »Wirklich, was rede ich da … Gendarmeriekorps und Polizeidepartement haben es miteinander nicht fertiggebracht, dieser Gegner habhaft zu werden, und da verlange ich von Ihnen … Rußland ist groß, ein Bösewicht kann überall
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