Totengeld
Charlotte?«
»Seit meinem achten Lebensjahr.«
»Wohnt unter dieser Adresse jemand bei Ihnen?«
»Manchmal meine erwachsene Tochter, aber nicht im Augenblick.« Das Armband, das Katy mir geschenkt hatte, hing lose an meinem Handgelenk, ein zartes Silberband mit der Gravur Mom rocks.
»Ihr Familienstand?«
»Getrennt.« Kompliziert. Auch das sagte ich nicht.
»Sind Sie in einem festen Arbeitsverhältnis?«
»Ja.«
»Bitte nennen Sie Ihren Arbeitgeber.«
»Der Staat North Carolina.« Immer schön kurz und bündig.
»Ihr Beruf?«
»Forensische Anthropologin.«
»Welche Ausbildung verlangt der Beruf?« Steif.
»Ich habe einen Doktortitel und eine Zulassung durch das American Board of Forensic Anthropology.«
»Dann führen Sie also Autopsien durch?«
»Sie denken, ich bin forensische Pathologin. Ein häufiger Fehler.«
Jett wurde noch steifer.
Ich schenkte ihr ein Lächeln. Das die Staatsanwältin nicht erwiderte.
»Forensische Anthropologen arbeiten mit Toten, bei denen Autopsien unmöglich sind, also mit Skelettierten, Mumifizierten, Verwesten, Zerstückelten, Verbrannten oder Verstümmelten. Wir werden hinsichtlich vieler Fragen konsultiert, die alle mittels einer Untersuchung der Knochen beantwortet werden. Zum Beispiel, ob die fraglichen Überreste menschlich oder tierisch sind.«
»Dazu ist ein Experte nötig?« Kaum beherrschte Skepsis.
»Einige menschliche und tierische Knochen sind sich täuschend ähnlich.« Ich dachte an die mumifizierten Exemplare, die mich im MCME erwarteten. »Vor allem fragmentierte Überreste sind sehr schwer zu beurteilen. Stammen Sie von einem Individuum, von mehreren, von Menschen, Tieren oder beidem?« Die Bündel, die ich gerade nicht untersuchte, weil ich, mit Füßen so aufgedunsen wie Wasserleichen, hier festhing.
Jett bedeutete mir mit einer ungeduldigen Geste ihrer manikürten Hand weiterzureden.
»Wenn die Überreste menschlich sind, suche ich nach Indikatoren auf Alter, Geschlecht, Abstammung, Größe, Krankheiten, Missbildungen oder Anomalien – nach allem, was zur Identifikation von Nutzen sein kann. Ich untersuche Verletzungen, um die Todesart zu bestimmen. Ich schätze, wie lange das Opfer schon tot ist. Ich betrachte etwaige postmortale Leichenbehandlung.«
Jett hob fragend eine Augenbraue.
»Köpfen, zerstückeln, eingraben, ins Wasser werfen.«
»Ich denke, das genügt.«
Jett schaute auf die Liste ihrer Fragen. Eine sehr lange Liste.
Mein Blick wanderte zu meiner Uhr, dann zu den Unglücklichen, die noch auf ihre Befragung warteten. Ich hatte mich angezogen, um respektvoll auszusehen, dem Bild zu entsprechen, das man von einer Vertreterin des Mecklenburg County Medical Examiner’s Office erwartete. Hellbrauner Hosenanzug, seidenes Rollkragenoberteil. Das traf nicht auf alle meine Mitgefangenen zu. Mein Favorit war das junge Mädchen in engem, ärmellosem Oberteil, Jeans und Sandalen.
Keine Haute Couture, aber ich vermutete, dass ihre Füße sich besser anfühlten als meine. Ich versuchte, in meinen Mörderpumps die Zehen zu bewegen. Keine Chance.
Ms. Jett atmete einmal tief durch. Worauf wollte sie hinaus? Ich zögerte nicht lange, es herauszufinden.
»Als forensische Anthropologin für den Staat stehe ich sowohl bei der UNC Charlotte – ich unterrichte dort ein Hauptseminar –, beim Office of the Chief Medical Examiner in Chapel Hill und beim Mecklenburg County Medical Examiner hier in Charlotte unter Vertrag. Außerdem bin ich konsultierende Expertin für das Laboratoire de sciences judiciaires et de médecine légale in Montreal.« Soll heißen: Ich habe sehr viel zu tun. Ich berate Polizeieinheiten, das FBI, das Militär, Coroner und Leichenbeschauer. Sie wissen genau, dass der Verteidiger mich entlassen wird, wenn Sie es nicht tun.
»Verstehe ich das richtig? Sie arbeiten regelmäßig in zwei Ländern?«
»Das ist nicht so merkwürdig, wie es klingt. In den meisten Rechtssystemen fungieren forensische Anthropologen als spezialisierte Berater. Wie bereits gesagt, werden meine Kollegen und ich nur zu Fällen gerufen, bei denen nicht genügend Fleisch für eine Autopsie vorhanden ist oder die Überreste –«
»Richtig.«
Jett fuhr die endlose Liste auf ihrem gelben Block mit dem Finger ab.
Ich streckte meine unglücklichen Zehen – oder versuchte es zumindest.
»Im Verlauf Ihrer Arbeit für den Medical Examiner, kommen Sie da in Kontakt mit Polizeibeamten?«
Endlich. Vielen Dank.
»Ja. Sehr oft.«
»Mit Staatsanwälten
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