Die Braut des Nil
1
»Dies ist
mein Haus«, erklärte ein etwa vierzigjähriger, breitschultriger Mann mit lauter
Stimme. »Auf Befehl des Pharao.« Die beeindruckende Gestalt hieß Setek. An
seiner Seite trug er ein Bronzeschwert. Seine Brust war in einen Lederharnisch
gehüllt. Er wirkte fast so furchterregend wie ein Nachtdämon.
»Das ist
unmöglich«, entgegnete Geru. »Dieses Haus ist unser Haus. Meine Frau Nedjemet
kann es bei ihrem Leben schwören.«
Geru, was so viel heißt wie
»der Schweigsame«, und Nedjemet, »die Sanfte«, waren seit vielen Jahren
verheiratet. Sie hatten einen einzigen Sohn, der jetzt fünfzehn war und sich
zur Hoffnung ihres Alters entwickelte. Durch harte Arbeit hatten sie ein Feld,
einen Obstgarten sowie mehrere kleine Gärten am Nilufer erworben.
Bis zu diesem
Tage hatten sie glücklich gelebt.
»Es geht
nicht nur um das Haus«, fuhr der Soldat fort. »Es geht auch um all euren
Grund.«
»Unseren
Grund… Wir sind es, die ihn fruchtbar gemacht haben. Er gehört uns!«,
protestierte Geru.
»Jetzt gehört
er mir«, verkündete Setek kalt. »Auf Befehl des Pharao, wie ich euch bereits
sagte.«
Der Soldat
sah sich um. Das Haus gefiel ihm. Drinnen wie draußen weiße Wände, ein großer,
mit Matten und Zedernholzkisten ausgestatteter Raum im Erdgeschoss, eine
Treppe, die in den ersten Stock führte, wo sich Schlafzimmer und ein Waschraum
befanden, eine mit blühenden Pflanzen und Weinstöcken berankte Terrasse… Man
hatte ihn nicht belogen. Dieses Haus war tatsächlich das prächtigste des ganzen
Dorfes. Er hätte sich kein besseres Geschick erträumen können.
»Wo ist
dieser Befehl?«, fragte Nedjemet zitternd. »Ich will ihn sehen. Dieses Haus ist
mein Haus.«
»Geht ins
Bürgermeisteramt und erkundigt euch. Es hat alles seine Richtigkeit.«
Die breiten
Lippen des Soldaten verzogen sich zu einem grausamen Grinsen.
»Das werden
wir tun«, erklärte Geru. »Wir werden Euch beweisen, dass Ihr Euch irrt!«
Setek lachte.
»Setek
täuscht sich nie, so wahr Seth, der Gott des Gewitters, mein Beschützer ist!
Zum Glück für mich! Ich habe gegen die Hethiter gekämpft und viele von ihnen
getötet. Als ich meinem General die abgetrennten Hände dieses Gesindels
gebracht habe, wusste er, dass ich ein tapferer Mann bin. Und dafür hat er mich
ausgezeichnet. Zwanzig Mal bin ich aufgebrochen und nach Asien in den Krieg
gezogen. Ich habe unter Kälte, Hitze, Hunger und Durst gelitten, meine Füße
haben geblutet, ich wurde viermal verletzt, ein Pfeil hat meinen Arm
durchschossen, hundertmal habe ich geglaubt, sterben zu müssen… Aber ich bin
lebend zurückgekommen. Die Hethiter haben in den Friedensvertrag mit Ramses dem
Großen einwilligen müssen. Der Krieg ist beendet. Und heute ist es an mir, das
Leben zu genießen!«
Geru nahm seine Frau in die
Arme.
Sie hatten
Angst.
Der Soldat
scherzte nicht. Jeder wusste, dass Ramses der Große den tapferen Kriegern, die
an seiner Seite gekämpft hatten, einen glücklichen Ruhestand zusicherte. Er
schenkte ihnen Gold und Ländereien. Aber noch niemand hatte gehört, dass er
rechtschaffenen Bauern den Besitz wegnahm.
»Gebt mir
etwas zu essen, bevor ich mein Land in Besitz nehme«, forderte Setek. »Die
Sonne steht hoch am Himmel. Ich habe Hunger.«
Geru löste
sich von seiner Frau und ballte die Fäuste. Sie hielt ihn zurück.
»Wir schulden
ihm Gastfreundschaft«, sagte sie. »Das ist eine Pflicht, die uns die Götter
auferlegt haben. Danach sehen wir weiter.«
Sie ließ die
beiden Männer zurück, die sich schweigend anstarrten, und eilte in die ans Haus
angebaute Küche, um dort Gerstenpfannkuchen zuzubereiten und ein Bohnenpüree
mit Knoblauch warm zu machen. Ein Strohdach schützte sie vor der brennenden
Sonne. Der Rauch wehte nach draußen und drang nicht ins Haus.
»Wie das
duftet!«, rief Setek. »Mir knurrt schon der Magen. Im Krieg muss man sich mit
wenig zufrieden geben… Altbackenes Brot, brackiges Wasser. Ihr Bauern beklagt
euch ständig, dabei versteht ihr es zu leben! Bestimmt hast du auch kühles
Bier…«
Geru hielt
seine Wut zurück. Niemand sollte ihn je beschuldigen können, einen Gast
schlecht empfangen zu haben. Die Nahrung gehörte nicht den Menschen, sondern
den Göttern. Jedem, den man in sein Haus aufnahm, musste man mit Respekt
begegnen und für sein Wohlergehen sorgen. Natürlich war Setek mit Gewalt in
sein Haus eingedrungen, aber Geru würde Gewalt nicht mit Gewalt beantworten. Er
würde diesen
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