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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Doherty, Polizeiwache Rathowen. Glenskehy gehört zu ihrem Revier.«
    »Eine Strafe Gottes«, sagte Byrne. Er klang, als meinte er es ernst. Er war irgendetwas über fünfzig, mit rundem Rücken und wässrigen blauen Augen, und er roch nach nasser Uniform und Verlierer.
    Doherty war ein schlaksiger junger Mann mit unvorteilhaften Ohren, und als ich ihm die Hand hinstreckte, glotzte er so überrascht wie eine Zeichentrickfigur. Ich konnte förmlich hören, wie seine Augäpfel plopp machten, als sie wieder zurückflutschten. Weiß der Himmel, was er über mich gehört hatte – die Gerüchteküche bei Cops funktioniert besser als in jedem Bingoclub –, aber ich hatte keine Zeit, mir deswegen Gedanken zu machen. Ich packte mein strahlendstes Lächeln aus, und er murmelte etwas und ließ meine Hand fallen, als hätte er sich daran verbrannt.
    »Wir haben Detective Maddox gebeten, einen Blick auf unser Opfer zu werfen«, sagte Frank.
    »Schon klar, hätt ich auch gemacht«, sagte Byrne, der mich angaffte. Ich war mir nicht sicher, ob er es so meinte, wie es sich anhörte; so forsch kam er mir eigentlich nicht vor. Doherty kicherte nervös.
    »Bereit?«, frage Sam mich leise.
    »Ich komm um vor Spannung«, sagte ich. Es kam mir etwas rotziger über die Lippen als beabsichtigt. Frank verschwand bereits im Cottage und zog den Vorhang aus Brombeerranken beiseite, der vor der Tür des inneren Raumes hing.
    »Ladies first«, sagte er schwungvoll. Ich hakte mir die Machobrille mit einem Bügel vorn in die Bluse, holte Luft und trat ein.
    Es hätte ein friedlicher, trauriger kleiner Raum sein können. Lange Streifen Sonnenlicht fielen schräg durch Löcher im Dach und schienen durch das Netz aus Zweigen vor den Fenstern, flirrend wie Licht auf Wasser; eine Kochstelle, seit hundert Jahren erkaltet, darauf Reste von Vogelnestern, die durch den Kamin herabgefallen waren, und der verrostete Eisenhaken für den Kochtopf hing noch immer einsatzbereit da. Eine Waldtaube gurrte zufrieden irgendwo in der Nähe.
    Aber wer schon einmal eine Leiche gesehen hat, weiß, wie sie die Luft verändert: Die gewaltige Stille, das Nichtvorhandensein, so eindringlich wie ein schwarzes Loch, die Zeit ist stehengeblieben, und die Moleküle sind um das reglose Etwas erstarrt, das das letzte Geheimnis erfahren hat, das es nie verraten kann. Meistens sind Tote das Einzige im Raum. Bei Mordopfern ist es anders; sie kommen nicht allein. Die Stille schwillt zu einem ohrenbetäubenden Schrei an, die Luft ist bewegt und trägt eine Handschrift, von der Leiche steigt der Qualm des Brandmals auf, das die andere Person hinterlassen hat, die dich genauso fest packt: der Mörder.
    An diesem Tatort fiel mir jedoch als Erstes auf, wie zart der Stempel war, den der Mörder hinterlassen hatte. Ich hatte mich innerlich gegen Dinge gewappnet, die ich mir nicht vorstellen wollte – nackt und breitbeinig, brutale dunkle Wunden, zu dicht, um sie zu zählen, verstreut herumliegende Körperteile –, aber diese Frau sah aus, als hätte sie sich bewusst auf dem Boden in Pose gelegt und danach ihren letzten Atemzug mit einem langen, ruhigen Seufzer ausgehaucht, Ort und Zeit selbst gewählt, ohne dabei irgendwelche fremde Hilfe zu benötigen. Sie lag im Schatten vor der Feuerstelle auf dem Rücken, akkurat, die Füße geschlossen und die Arme am Körper. Sie trug eine marineblaue Wolljacke, offen, darunter eine blaue Jeans – hochgezogen, Reißverschluss geschlossen –, Sneakers und ein blaues Top mit einem dunklen gebatikten Stern vorne drauf. Das einzig Ungewöhnliche waren ihre Hände, die zu festen Fäusten geballt waren. Frank und Sam waren neben mich getreten, und ich warf Frank einen verwunderten Blick zu – Ja und? –, aber er sah mich nur an, ohne dass sein Gesicht irgendetwas preisgab.
    Sie war mittelgroß, hatte die gleiche Statur wie ich, kompakt und knabenhaft. Ihr Gesicht war von uns weg zur hinteren Wand gedreht, und in dem dämmrigen Licht konnte ich nur kurze schwarze Locken und ein Stück Weiß sehen: die hohe rundliche Wölbung einer Wange, die Spitze eines kleinen Kinns. »Hier«, sagte Frank. Er knipste eine winzige starke Taschenlampe an und beleuchtete ihr Gesicht mit einem scharfen kleinen Heiligenschein.
    Einen Moment lang war ich verwirrt – Sam hat gelogen? –, denn ich kannte sie von irgendwoher, ich hatte das Gesicht schon tausendmal gesehen. Dann trat ich einen Schritt vor, um genauer hinzuschauen, und die ganze Welt verstummte, gefror,

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