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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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während Dunkelheit von allen Seiten herantobte und in der Mitte gleißend weiß nur das Gesicht der jungen Frau blieb, denn das war ich. Der Winkel der Nase, der weite Schwung der Augenbrauen, jede noch so winzige Rundung und Linie klar wie Eis: Das war ich, blaulippig und reglos, mit Schatten wie dunkle Blutergüsse unter den Augen. Ich konnte meine Hände nicht spüren, die Füße, konnte nicht spüren, wie ich atmete. Eine Sekunde lang meinte ich zu schweben, abgeschnitten von mir selbst, und Luftströmungen trügen mich davon.
    »Kennst du sie?«, fragte Frank irgendwo. »Vielleicht Verwandtschaft?«
    Es war, als würde ich blind; meine Augen konnten sie nicht richtig erfassen. Sie war ein Ding der Unmöglichkeit: eine Fieberhalluzination, ein irrer Riss durch alle Gesetze der Natur. Ich merkte, dass ich stocksteif auf den Fußballen stand, eine Hand fast an der Pistole, jeder Muskel bereit, diese Tote bis in den Tod hinein zu bekämpfen. »Nein«, sagte ich. Meine Stimme klang falsch, irgendwo außerhalb von mir. »Nie gesehen.«
    »Bist du adoptiert?«
    Sam riss den Kopf herum, erschrocken, aber die Unverblümtheit war gut, sie wirkte wie ein Kneifen. »Nein«, sagte ich. Einen schrecklichen, schwankenden Moment lang fragte ich mich das tatsächlich. Aber ich habe Fotos gesehen, meine Mutter müde und lächelnd in einem Krankenhausbett, ich neugeboren an ihrer Brust. Nein.
    »Welcher Elternseite siehst du ähnlicher?«
    »Was?« Ich brauchte eine Sekunde. Ich konnte den Blick nicht von der Frau abwenden. Ich musste mich zwingen zu blinzeln. Kein Wunder, dass Doherty, der Ohrenmann, so verblüfft gestiert hatte. »Nein. Meiner Mutter. Aber mein Vater ist nicht fremdgegangen, und das hier ist … Nein.«
    Frank zuckte die Achseln. »Hätte ja sein können.«
    »Angeblich hat jeder einen Doppelgänger, irgendwo«, sagte Sam leise neben mir. Er war mir zu nah. Erst nach einem Moment Verzögerung begriff ich, dass er bereitstand, um mich aufzufangen, im Notfall.
    Ich falle nicht leicht in Ohnmacht. Ich biss mir fest und schnell innen auf die Lippe; der jähe Schmerz verschaffte mir wieder einen klaren Kopf. »Hat sie keinen Ausweis?«
    Das winzige Zögern, bevor einer von ihnen antwortete, verriet mir, dass irgendetwas im Busch war. Scheiße , dachte ich mit einem erneuten dumpfen Schlag im Magen: Identitätsklau . Ich wusste nicht genau, wie so etwas funktionierte, aber ein Blick auf mich und eine kreative Ader hätten vermutlich genügt, und die Frau hätte den gleichen Pass wie ich bekommen und sich auf meine Kosten BMWs kaufen können.
    »Sie hatte eine Studentenkarte bei sich«, sagte Frank. »Schlüsselbund in der linken Jackentasche, Maglite in der rechten, Portemonnaie in der vorderen rechten Jeanstasche. Zwölf Euro plus Kleingeld, eine Kontokarte, zwei alte Quittungen und das hier.« Er zog einen durchsichtigen Beweismittelbeutel aus einem Haufen an der Tür und klatschte ihn mir in die Hand.
    Es war ein Ausweis vom Trinity College, glänzend und digitalisiert, nicht die laminierten bunten Papierdinger, die wir gehabt hatten. Die junge Frau auf dem Foto sah zehn Jahre jünger aus als das weiße, eingefallene Gesicht in der Ecke. Sie lächelte mit meinem eigenen Lächeln zu mir hoch und trug eine gestreifte, zur Seite gedrehte Ballonmütze, und eine Sekunde lang ging mein Verstand mit mir durch: Aber ich hatte doch nie so eine gestreifte, wann hab ich – ich tat so, als würde ich den Ausweis ins Licht halten, während ich das Kleingedruckte las, damit ich den anderen die Schulter zudrehen konnte. Madison, Alexandra J.
    Einen schwindeligen Moment lang begriff ich vollkommen: Frank und ich hatten das hier zu verantworten. Wir hatten Lexie Madison Knochen für Knochen und Faser für Faser erschaffen, wir hatten sie getauft, und einige Monate lang hatten wir ihr ein Gesicht und einen Körper gegeben, und als wir sie wegwarfen, wollte sie mehr. Vier Jahre hatte sie gebraucht, um sich selbst neu zusammenzusetzen, aus dunkler Erde und Nachtwind, und dann hatte sie uns hierhergerufen, damit wir sahen, was wir getan hatten.
    »Verdammt, das kann nicht sein«, sagte ich, sobald ich wieder atmen konnte.
    »Als die Kollegen von der Streife ihren Namen durch den Computer laufen ließen«, sagte Frank und nahm mir den Beutel aus der Hand, »stellte sich raus, dass sie einen Vermerk hatte: Wenn dieser Frau was passiert, umgehend mich verständigen. Ich hab sie damals nicht aus dem System genommen, weil ich dachte, wir

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