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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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könnten sie vielleicht noch mal brauchen, früher oder später. Man weiß ja nie.«
    »Ja«, sagte ich. »Das kannst du laut sagen.»Ich starrte auf die Leiche und rief mich zur Ordnung: Das da war kein Golem, das war eine tote Frau im richtigen Leben, Paradox inklusive. »Sam«, sagte ich. »Was haben wir?«
    Sam warf mir einen raschen, forschenden Blick zu. Als er sicher war, dass ich nicht in Ohnmacht fallen oder loskreischen würde oder was immer er befürchtet hatte, nickte er. Er sah schon wieder ein bisschen mehr wie er selbst aus. »Weiblich, Hautfarbe weiß«, sagte er, »Mitte zwanzig bis Anfang dreißig, eine Stichwunde in der Brust. Cooper sagt, sie starb gegen Mitternacht, plus minus eine Stunde. Genauer kann er es nicht sagen: Schock, schwankende Umgebungstemperatur, eventuelle körperliche Aktivität kurz vor dem Todeszeitpunkt und so weiter.«
    Anders als die meisten Leute komme ich gut mit Cooper klar, aber ich war froh, dass ich ihn verpasst hatte. Das kleine Cottage kam mir zu voll vor, voller trampelnder Füße und sich bewegender Menschen und auf mich gerichteter Blicke. »Wurde sie hier erstochen?«, fragte ich.
    Sam schüttelte den Kopf. »Schwer zu sagen. Wir müssen abwarten, was die Kriminaltechnik sagt, aber der Dauerregen letzte Nacht hat viele Spuren vernichtet – wir werden keine Fußabdrücke da draußen auf dem Feldweg finden, keine Blutspur, nichts dergleichen. Aber ich würde sagen, das hier ist nicht der Tatort. Sie war noch mindestens eine Weile auf den Beinen, nachdem sie verwundet wurde. Siehst du da? Das Blut ist geradlinig an ihrer Jeans runtergelaufen.« Frank richtete den Taschenlampenstrahl gehorsam darauf. »Und sie hat Dreck an beiden Knien und einen Riss an einem, als wäre sie gerannt und hingefallen.«
    »Auf der Flucht«, sagte ich. Das Bild wallte in mir auf wie etwas aus jedem vergessenen Alptraum: der Weg, der sich in die Dunkelheit hineinschlängelt, und sie, die verzweifelt rennt, Füße, die hilflos auf Kieseln wegrutschen, ihr Atem wild in den Ohren. Ich konnte spüren, wie Frank vorsichtig zurücktrat, wortlos, beobachtend.
    »Könnte sein«, sagte Sam. »Vielleicht war der Mörder hinter ihr her, oder sie hat es geglaubt. Sie könnte sogar von seiner Haustür aus eine Spur hinterlassen haben, aber die ist natürlich längst verschwunden.«
    Ich wollte etwas mit den Händen machen, mir durchs Haar fahren, über den Mund, irgendwas. Ich stopfte sie in die Taschen, um sie ruhig zu halten. »Sie ist also hier rein und zusammengebrochen.«
    »Nicht ganz. Ich glaube, sie ist da drüben gestorben.»Sam zog die Brombeerzweige beiseite und deutete mit dem Kinn auf eine Ecke des vorderen Raumes. »Da haben wir eine ziemlich große Blutlache. Schwer zu sagen, wie viel Blut das genau ist – vielleicht kann das Labor uns da behilflich sein –, aber wenn nach einer solchen Nacht noch so viel vorhanden ist, würde ich tippen, dass sie eine ordentliche Menge verloren hat. Vermutlich hat sie aufrecht sitzend an der Wand gelehnt – das meiste Blut ist vorn auf ihrem Top und auf dem Schoß und am Hosenboden ihrer Jeans. Wenn sie gelegen hätte, wäre es an den Seiten runtergelaufen. Siehst du?«
    Er zeigte auf das Top der jungen Frau, und der Groschen fiel bei mir mit einem Knall: keine Batikfarbe. »Sie hat den Stoff vorn zusammengedreht und auf die Wunde gepresst, um die Blutung zu stoppen.«
    Tief in der Ecke da zusammengekauert; rauschender Regen, Blut, das ihr warm durch die Finger quillt. »Und wie ist sie dann hier rübergekommen?«, fragte ich.
    »Unser Mann hat sie am Ende eingeholt«, sagte Frank. »Irgendjemand auf jeden Fall.« Er bückte sich, hob einen Fuß der Frau am Schnürsenkel an – ein Zucken schoss mir durch den Nacken, als er sie berührte – und richtete die Taschenlampe auf die Ferse ihres Sportschuhs: abgewetzt und braun, mit tief eingegrabener Erde. »Sie wurde hergeschleift. Da war sie schon tot, denn unter dem Körper ist keine Lache: Sie hat also nicht mehr geblutet. Der Typ, der sie gefunden hat, schwört, er hat sie nicht angerührt, und ich glaube ihm. Er sah aus, als würde er sich gleich die Seele aus dem Leib kotzen. Der ist todsicher keinen Zentimeter näher ran als nötig. Jedenfalls, sie wurde relativ kurz nach Eintritt des Todes bewegt. Cooper sagt, die Leichenstarre hatte noch nicht eingesetzt, und es sind keine sekundären Leichenflecke vorhanden – und sie war auch nicht lange draußen im Regen. Sie ist kaum feucht. Wäre sie

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