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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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lehnte ich mich gegen die Spinde.
    »Wer ist es?«, fragte ich.
    »Was? Nein – um Gottes willen, nein, es ist nicht … ich meine, es ist niemand, den wir kennen. Das heißt, ich glaube jedenfalls nicht … Hör mal, kannst du herkommen?«
    Mein Atem war wieder da. »Sam«, sagte ich. »Was zum Teufel ist los?«
    »Ich … kannst du nicht einfach herkommen? Wir sind in Wicklow, außerhalb von Glenskehy. Kennst du doch, oder? Folg der Beschilderung bis Glenskehy, durch das Dorf durch und halt dich dann in südlicher Richtung. Nach etwa einer Dreiviertelmeile geht rechts ein kleiner Weg ab – da siehst du schon das Absperrband. Wir warten da auf dich.«
    Die Jungs von der Sitte blickten jetzt interessiert. »Mein Dienst fängt in einer Stunde an«, sagte ich. »So lange brauche ich allein, um da rauszufahren.«
    »Ich rufe bei dir im Dezernat an. Ich sag denen, wir brauchen dich.«
    »Das lässt du schön bleiben. Ich bin nicht mehr im Morddezernat, Sam. Wenn es um einen Mord geht, hab ich nichts damit zu tun.«
    Die Stimme eines Mannes im Hintergrund: entschieden, lässig gedehnt, schwer zu überhören. Sie kam mir bekannt vor, aber ich wusste nicht, wo ich sie hintun sollte. »Moment«, sagte Sam.
    Ich klemmte das Handy zwischen Ohr und Schulter und fing an, meine Pistole wieder zusammenzusetzen. Wenn es niemand war, den wir kannten, dann musste es ein übler Fall sein, so wie Sam sich anhörte, sehr übel. Tötungsdelikte in Irland sind nach wie vor überwiegend ziemlich simple Angelegenheiten: Kämpfe im Drogenmilieu, Einbrüche, bei denen etwas schiefgeht, Ehedramen oder diese komplizierte Familienfehde in Limerick, die seit Jahrzehnten die Statistik versaut. Wir hatten noch nie solche Alptraumorgien wie in anderen Ländern: die Serienkiller, die raffinierten Folterungen, die Keller, in denen die Leichen wie Herbstlaub liegen. Aber bis dahin ist es nur noch eine Frage der Zeit. Seit zehn Jahren verändert sich Dublin so schnell, dass unser Verstand nicht mehr nachkommt. Das irische Wirtschaftswunder hat uns zu viele Leute mit Hubschraubern beschert und zu viele, die in kakerlakenverseuchte, heruntergekommene Wohnungen abgestürzt sind, viel zu viele, die ihr Dasein in neonhellen Bürowaben verachten, es mit dem Gedanken ans Wochenende ertragen, um dann wieder von vorn anzufangen, und allmählich brechen wir unter dem Gewicht zusammen. Gegen Ende meiner Zeit im Morddezernat spürte ich es nahen: spürte das hohe Singen des Wahnsinns in der Luft, die Stadt, die sich duckte und zuckte wie ein tollwütiger Hund, ehe er anfängt, um sich zu beißen. Früher oder später musste jemand den ersten Horrorfall erwischen.
    Wir haben keine offiziellen Profiler, aber die Leute vom Morddezernat, die meist nicht aufs College gegangen sind und von meinem abgebrochenen Psychologiestudium beeindruckter waren, als sie es hätten sein sollen, schoben mir gern diese Rolle zu. Und ich spielte sie nicht mal schlecht. Ich las in der Freizeit viele Lehrbücher und Statistiken, um auf dem Laufenden zu bleiben. Sams Cop-Instinkte könnten seine beschützerischen verdrängt haben, so dass er mich hinzuziehen wollte, weil er es für nötig erachtete, weil er an einem Tatort etwas so Schlimmes vorgefunden hatte, dass er das für gerechtfertigt hielt.
    »Moment mal«, sagte der Rothaarige. Er hatte den Muskelprotzmodus abgeschaltet und saß jetzt kerzengerade auf seiner Bank. »Du warst im Morddezernat?« Genau aus dem Grund hatte ich jede Kumpelhaftigkeit vermeiden wollen. Diesen begeisterten Tonfall hatte ich in den letzten paar Monaten viel zu oft gehört.
    »Vor einer halben Ewigkeit«, sagte ich, während ich ihn mit meinem süßesten Lächeln und meinem Frag-bloß-nicht-weiter-Blick bedachte.
    Rotschopfs Neugier und seine Libido lieferten sich ein kurzes Duell. Offenbar rechnete er sich aus, dass die Chancen seiner Libido ohnehin gleich null waren, denn seine Neugier gewann. »Du bist die, die diesen einen Fall bearbeitet hat, nicht?«, sagte er und rutschte ein paar Spinde näher. »Das tote Mädchen. Wie war das denn nun wirklich?«
    »Alle Gerüchte stimmen«, erwiderte ich. Am anderen Ende des Telefons hatte Sam eine gedämpfte Auseinandersetzung, kurze gereizte Fragen, die von der lässigen Stimme unterbrochen wurden, und ich wusste, wenn der Rothaarige nur mal kurz die Klappe halten würde, käme ich dahinter, wer da sprach.
    »Ich hab gehört, dein Partner ist durchgedreht und mit einer Verdächtigen in die Kiste gestiegen«,

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