Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
Eins
Sehr geehrter Herr Ackermann,
wir kennen uns leider nicht persönlich, aber ich habe in der Zeitung über Sie und Ihren Prozess gelesen und muss sagen, dass ich zutiefst schockiert bin über die gegen Sie erhobenen, in meinen Augen durch nichts zu rechtfertigenden Anschuldigungen – und vor allem über das daraus folgende Urteil. Es ist eine Schande, dass es in diesem Land ganz offenbar möglich ist, unbescholtene Bürger allein auf der Basis fragwürdigster Indizien in den Knast zu stecken. Ich hoffe, Sie gehen gegen dieses Schandurteil in Berufung, und wünsche Ihnen – auch im Namen meiner Frau – für den vor Ihnen liegenden Weg viel Kraft und Gottes Segen!
Mit besten Grüßen
Alois Brunnberger
St. Ingbert, im Oktober 2003
Mein geliebter Achim,
ich bin in großer Sorge, weil ich so lange nichts von Dir gehört habe. Ich habe sogar schon bei Dr. Niedmann angefragt, aber der hatte doch tatsächlich die Frechheit, mir jegliche (!!!) Auskunft zu verweigern, kannst Du Dir so etwas vorstellen? Nicht einmal, als ich ihm sagte, dass wir sozusagen verlobt sind, hat er sich irgendwas entlocken lassen und sich stattdessen auf seine sogenannte anwaltliche Schweigepflicht berufen! Vielleicht solltest Du wirklich einmal darüber nachdenken, ob Deine Verteidigung dort noch in guten Händen ist. Bitte, Geliebter, antworte mir schnell, ich komme um vor Angst um Dich!
Dein Dich ewig liebendes Mäuschen
In einem vernünftigen Staat kämen Menschen wie Sie nicht in ein Gefängnis, wo Sie den Steuerzahler noch unnötig Geld kosten, sondern geradewegs auf den elektrischen Stuhl!
Ingolf S., Ravenstein
Sehr geehrter Herr Ackermann,
wir sind zwar nur eine kleine Gruppe von derzeit siebenundzwanzig Mitgliedern, aber wir möchten es nicht versäumen, Sie unserer tiefsten Anteilnahme zu versichern. Wir haben Ihren Fall in den Medien verfolgt und sind einfach nur fassungslos über das Ausmaß an Unrecht, das Ihnen durch die Instrumente unseres sogenannten »Rechts«-Systems zugefügt wurde. Die Freiheit des Menschen – auch und vor allem in Extremsituationen –, eigenständig über sein Schicksal zu entscheiden, gehört unserer Auffassung nach zu den Grundpfeilern einer ethisch geprägten Gesellschaftsordnung, von der wir heute offenbar weiter entfernt sind als jemals zuvor.
Verlieren Sie nicht den Mut, es gibt hier draußen viele Menschen, die Sie und Ihre selbstlose Tapferkeit bewundern!
Mit solidarischen Grüßen
Verein »Humanität jetzt!«
M. T. Galbani, 1 . Vorsitzender
Mein innigst geliebter Achim,
Du kannst Dir nicht vorstellen, wie glücklich ich war, als ich nach dieser endlos langen Zeit des Wartens endlich Deine lieben Zeilen in den Händen hielt. Selbstverständlich werde ich alles tun, worum Du mich gebeten hast, auch wenn ich die Gründe dafür noch immer nicht recht nachvollziehen kann. Aber das muss ich ja auch nicht. Das Wichtigste ist schließlich doch, dass uns die Sache unserem Ziel wieder ein kleines Stückchen näher bringt. Also sei ohne Sorge, es wird alles zu Deiner Zufriedenheit erledigt werden. Anbei noch zwei Fotos von mir, die Dir die Zeit des Wartens ein wenig versüßen sollen ;-) Das Negligé kannst Du hoffentlich bald auch einmal in natura bewundern. Der Antrag ist gestellt, und ich zähle die Stunden, bis ich Dich endlich ganz und für immer in meinen Armen halten kann!!! 1000 Küsse und Umarmungen sendet Dir
Dein sehnsuchtskrankes Mäuschen
Donnerstag, 11 . Dezember
1
Der Wind war deutlich aufgefrischt und kam jetzt aus Osten. Und so heiß der zurückliegende Sommer gewesen war, so ungastlich und eisig präsentierte sich nun der Dezember. Als ob der Winter um jeden Preis beweisen müsse, dass er dem Sommer in nichts nachstand …
Joachim Ackermann schlug den Kragen des kurzen Wollmantels hoch, den seine sogenannte Verlobte ihm zur Entlassung geschenkt hatte. Ein biederes, meliertes Etwas in Anthrazit, eine Farbe, die er noch nie hatte ausstehen können. Aber egal. Den Mantel würde er ohnehin nur noch ein paar Tage tragen. Und für das, was er hier zu erledigen hatte, reichte er allemal. Er blieb stehen und blickte durch die Kronen der hohen Bäume in den Nachthimmel hinauf. Finsterstes Schwarzbraun, das nichts Gutes verhieß. In den Nachrichten hatten sie Schnee angesagt. Zwanzig Zentimeter über Nacht und das obligatorische Verkehrschaos am nächsten Morgen, das unausweichlich folgte, wann immer im notorisch milden Rheingau auch nur eine einzige Flocke vom
Weitere Kostenlose Bücher