Totenkönig (German Edition)
den Eingängen Menschenscharen. Manche rauften miteinander, andere torkelten betrunken über die Straße. Larkyen fielen Männer mit einer rotgelben Gesichtsbemalung auf; sie waren bewaffnet und beobachteten die Umgebung wie Wachposten.
„Velors“, flüsterte Patryous. „Durch ihre Bemalung zeigen sie o ffen ihre Zugehörigkeit zu der Gilde.“
An der Uferseite der Straße ragte ein steinerner Leuchtturm auf, die Spitze loderte in einem hellen Pechfeuer. Die Unsterblichen konnten bereits den Fluss Nefalion sehen, dessen Ströme silbern im Mondlicht glitzerten. Um den vielen Anlegeplätzen genug Platz zu bieten, war das Flussbett des ohnehin größten Flusses der Welt in gewalt igem Ausmaß verbreitert worden. Außerdem führten von dort aus mehrere offene Kanäle durch die Stadt, sie dienten der Wasserversorgung, wie auch der Fortbewegung mit kleineren Booten. Im östlichen Teil der Stadt gab es sogar mehr Kanäle als Straßen. Durch den heißen Sommer hatte sich selbst der Wasserstand des Flusses gesenkt, vereinzelt war der steinige Grund deutlich zu erkennen.
Ein Langschiff, dessen Bug kunstvoll zu einem Drachenkopf g eschnitzt war, fiel Larkyen sofort auf. Es hatte soeben an einem Steg angelegt. Die Besatzung bestand aus einer Schar Majunay. Ihre Kleidung aus Schaffellen war schmutzig und abgetragen, sie führten nur wenige Besitztümer mit sich.
„Flüchtlinge“, seufzte Larkyen. „Der Krieg im Osten der Welt hat sich verschlimmert. Auch wenn das Volk der Majunay die Zhymar aner immer weiter nach Süden zurücktreibt, werden sie ihre Augen vor dem Leid nicht verschließen können.“
Während des Kriegs gegen die Strygarer und danach hatte Lark yen nach vielen diplomatischen Bemühungen erreicht, dass sich einige verfeindete Völker in Verbundenheit die Hände reichten. Doch nicht alles vermochte er zu verändern; die Völker der Majunay und der Zhymaraner führten nach einem kurzzeitigen Waffenstillstand abermals ihren Krieg fort. Und wieder erbebte der Südosten der Welt unter den Reiterkolonnen der Majunay und den Heeren der Zhymaraner.
„Du magst das Volk der Majunay noch immer sehr“, stellte P atryous fest. „Selbst viele Jahre nachdem ihr Angriffskrieg gegen die Zhymaraner begann, sehe ich dich lächeln, wenn du von der Steppe redest.“
Larkyen hatte nicht vergessen, dass Patryous` dem Volk der M ajunay entstammte. Ihre Augen waren schmal, ihre Haut besaß einen rötlichen Teint, und ihr Haar war schwarz. Sie verkörperte die natürliche Schönheit einer Nomadin.
„Ich habe die Majunay gut gekannt“, seufzte Larkyen. „So viel Zeit verbrachte ich in ihrem Land, sie waren so friedlich und strebten nach einem einfachen Leben als Nomaden in der Wildnis. Sie füh rten ein gutes Leben, bevor der Krieg ihr Volk vergiftete.“
Larkyen war in ihren Lagern immer willkommen gewesen. Das Nomadenleben war ein lebenswertes Leben. Doch alles hatte sich verändert, als ein Sterblicher namens Sandokar die Macht an sich g erissen hatte. Sandokar zwang alle Majunay dazu, als Soldaten zu dienen, und als die Zahl seiner Truppen groß genug war, sandte er sie nach Süden, und der Krieg gegen Zhymara hatte begonnen. Und wer nicht kämpfen wollte, floh.
„Es gibt keinen dauerhaften Frieden unter den Sterblichen“, sagte P atryous. „So war es, und so wird es immer sein.“
„Vielleicht würden sie anders denken, wenn ihnen die Ewigkeit bevorstände, vielleicht wären sie weniger selbstzerstörerisch, wenn sie die ganzen Folgen ihres Handelns über Jahrhunderte oder sogar Jah rtausende hinweg tragen müssten.“
„Im Reich Kyaslan gibt es Unsterbliche, die der Meinung sind, die Menschen sollten weitflächig von der Welt getilgt werden. Und nur ein kleiner Teil sollte wie Vieh in Gefangenschaft gehalten we rden, damit wir uns von ihrer Lebenskraft nähren können. Bis jetzt hat der Imperator gegenüber solchen Vorschlägen seine Ohren verschlossen.“
„Weder Unsterbliche noch Sterbliche haben Anspruch auf die Welt, ihre Weiten gehören entweder allen oder niemandem.“
„Du sprichst weise“, sagte Patryous und lächelte. Es war ein ehrliches Lächeln.
Vor der geöffneten Tür eines Wirtshauses kam es zu einem Tumult. Die noch vor kurzem eingetroffenen Majunay wichen vor mehreren bewaffneten Männern der Velorgilde zurück. Die männlichen Ostländer nahmen beinahe alle ihre Kampfhaltung ein, längst hatten sie die Säbel gezogen. In einer Seitenstraße zeigten sich drei Bogenschützen mit
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