Totenmontag: 7. Fall mit Tempe Brennan
Stunden den St. Lawrence flussaufwärts in einer Region, die als Saguenay bekannt war. Bevor er zur CUM kam, hatte er mehrere Jahre auf den Ölfeldern im westlichen Texas gearbeitet. Stolz auf seine Cowboy-Jugend, sprach Charbonneau mit mir immer in meiner Muttersprache. Sein Englisch war gut, auch wenn er manchmal die falschen Silben betonte und seine Formulierungen so mit Slang durchsetzt waren, dass man einen Zehn-Gallonen-Stetson damit hätte füllen können.
»Wollen wir’s hoffen.«
»Sie hoffen es?« Eine kleine Atemwolke wehte aus Claudels Mund.
»Ja, Monsieur Claudel. Ich hoffe es.«
Claudel kniff die Lippen zusammen, blieb aber stumm.
Als Gilbert genügend Fotos von den verpackten Überresten geschossen hatte, kniete ich mich hin und zupfte an einer Ecke des Leders. Es riss.
Ich ersetzte meine warmen Wollfäustlinge durch Gummihandschuhe, beugte mich wieder über das Bündel und machte mich daran, eine Ecke abzulösen, dann behutsam die Schichten zu trennen, anzuheben und aufzurollen.
Nachdem ich die obere Schicht komplett nach links abgewickelt hatte, machte ich mich an die untere. An einigen Stellen hafteten Fasern am Knochen. Vor Kälte und Nervosität zitternd, löste ich mit dem Skalpell verfaultes Leder vom darunter liegenden Knochen.
»Was ist das weiße Zeug?«, fragte Racine.
»Adipocire.«
»Adipocire?«, wiederholte er.
»Leichenwachs«, antwortete ich, obwohl ich nicht in der Stimmung für eine Chemiestunde war. »Fettsäuren und Kalziumseifen aus Muskel- oder Fettgewebe, die eine chemische Veränderung durchmachen, normalerweise nach einer langen Verweildauer in der Erde oder im Wasser.«
»Warum ist das nicht auch auf dem anderen Skelett?«
»Weiß ich nicht.«
Ich hörte, wie Claudel Luft durch die Lippen blies. Ich ignorierte ihn.
Fünfzehn Minuten später hatte ich die untere Schicht vollständig abgelöst und ausgebreitet, und das Skelett lag nun frei vor uns.
Der Schädel war zwar beschädigt, aber unübersehbar vorhanden.
»Drei Köpfe, drei Personen.« Charbonneau stellte das Offensichtliche fest.
» Tabernouche « , sagte Claudel.
»Verdammt«, sagte ich.
Gilbert und Racine blieben stumm.
»Irgendeine Idee, was wir hier haben, Doc?«, fragte Charbonneau.
Ich richtete mich ächzend auf. Acht Augen folgten mir zu Dr. Energy’s Kiste.
Nacheinander holte ich die beiden Beckenhälften und den Schädel heraus und untersuchte sie.
Dann ging ich zum ersten Loch, kniete mich hin und entnahm und untersuchte dieselben Skelettteile.
O Gott.
Ich legte diese Knochen wieder zurück, kroch zum zweiten Loch, kniete mich darüber und betrachtete die Schädelfragmente.
Nein. Nicht schon wieder. Die universellen Opfer.
Behutsam löste ich die rechte Beckenhälfte.
Atemwolken blähten sich vor fünf Gesichtern.
Ich ging in die Hocke und bürstete Erde von der Schambeinfuge.
Und spürte, wie es kalt wurde in meiner Brust. Drei Frauen. Fast noch Mädchen.
2
Als ich am Dienstagmorgen zum Wetterbericht aufwachte, wusste ich, dass mich eine mörderische Kälte erwartete. Nicht die feucht-kühlen zehn Grad plus, über die wir in North Carolina im Januar gelegentlich jammern. Ich meine arktische Kälte im zweistelligen Minusbereich. Kälte nach dem Motto: Hör auf, dich zu bewegen, und du stirbst und wirst von Wölfen gefressen.
Ich liebe Montreal. Ich liebe den gut zweihundertfünfzig Meter hohen Berg, den alten Hafen, Little Italy, Chinatown, das Schwulenviertel, die Stahl- und Glaswolkenkratzer des Centre-ville, die verwinkelten Viertel mit ihren Gassen und Steinhäusern und unmöglichen Treppen.
Montreal ist ein schizoider Raufbold, der beständig mit sich selbst über Kreuz ist. Anglophon gegen frankophon. Separatistisch gegen föderalistisch. Katholisch gegen protestantisch. Alt gegen neu. Ich genieße den kulinarischen Multikulturalismus der Stadt: Empanada, Falafel, Poutin, Kong Pao. Hurley’s Irish Pub, Katsura, L’Express, Fairmont Bagel, Trattoria Trastevere.
Ich nehme teil an der endlosen Reihe von Festivals in dieser Stadt, Le Festival International de Jazz, Les Fêtes Gourmandes Internationales, Le Festival des Films du Monde, das Käferkosten-Festival im Insektarium. Ich kaufe ein in den Läden an der Ste. Catherine, auf den Freiluftmärkten an der Jean-Talon und der Atwater, in den Antiquitätenläden an der Notre-Dame. Ich besuche Museen, mache Picknicks in den Parks, fahre auf den Wegen am Canal Lachine Fahrrad. Ich genieße das alles.
Was ich nicht
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