Totenreise
Pelle zu rücken … wie ich’s mir gedacht hatte, eine G-IX. Sieh einer an!«
»Das ist viel zu kopflastig«, mischte sich Pascal nun ein, auch um sich ein wenig von seinen Gedanken abzulenken. »Dabei geht etwas Entscheidendes verloren. Ich weiß zwar«, fügte er hinzu und ahnte schon, was sein Freund darauf erwidern würde, »dass ich nicht der Geeignetste bin, um darüber zu sprechen. Aber deine Tabelle zwingt einen, zu lügen und sich zu verstellen.«
»Also Folgendes«, begann Dominique seine Verteidigung, »meine Erfindung ist dazu gedacht, jemanden anzubaggern, nicht zu heiraten. Es geht darum, Erfolg zu haben unter effizientem Zeiteinsatz: mit dem ausgewählten Mädchen etwas zum Laufen zu bringen, das war’s. Die Liebe ist etwas anderes.«
»Aber was ist mit der Spontaneität?«, schaltete sich Mathieu ein. »Das merkt ein Mädchen doch, wenn das geplant ist. Das wird nicht funktionieren.«
Dominique wirkte verärgert und ließ seinen Blick über Mathieus ein Meter neunzig und über seine breiten Schultern gleiten.
»Du hast gut reden, so wie du gebaut bist … und dabei ist der Körper, den du hast, nicht einmal dein Verdienst, sondern das Ergebnis eines genetischen Zufalls. Ich freue mich für dich, aber es ist ungerecht. Damit du’s weißt.«
Mathieu lächelte.
»Und dabei ärgert es dich nicht einmal, dass ich diesen wundervollen Luxuskörper an Typen verschwende, oder? Du fragst dich nur, was du damit bei Mädchen erreichen könntest, stimmt’s?«
Alle brachen in Gelächter aus.
»Schon gut, ich hab die Antwort verdient«, lenkte Dominique ein. »Aber im Ernst, es muss schön sein, anderen zu gefallen, ohne etwas dafür tun zu müssen.« Er blickte an sich hinunter. »Manchmal fühlt sich der Stuhl an, als würde ich ihn auf dem Rücken schleppen, wirklich. Ich träume sogar davon, gehen zu können, wisst ihr? Und davon, ein Mädchen auf Augenhöhe anzuschauen.«
In der Gruppe war es mucksmäuschenstill geworden, und Mathieu bereute seine Bemerkung. Dominique sprach eigentlich nie davon, wie schwer es ihm fiel, damit zurechtzukommen, an den Rollstuhl gefesselt zu sein, nie von der Krankheit, die er als kleiner Junge hatte. Vielleicht machte ihm die unvorhergesehene Situation zwischen Michelle und Pascal mehr zu schaffen, als er sich eingestehen wollte.
Chantal, eine Freundin von Michelle, ging neben Dominique in die Hocke und sah ihn an: »Dominique, du musst kapieren, dass du keine Strategien brauchst … Du bist witzig und du bist klug, und dann dieser Blick … Um für ein Mädchen interessant zu sein, musst du nicht rennen können. Ich denke, es genügt, wenn du ihr Händchen halten kannst.« Sie grinste und richtete sich wieder auf. »Jetzt muss ich los, ich hab noch eine Verabredung in dieser Pause.«
»Danke, Chantal«, flüsterte er sanft. Und lauter: »Es tut mir leid, ich weiß nicht, was heute mit mir los ist. Es ist nur irgendwie ermüdend, immer so zu tun, als wäre alles okay.«
Jetzt ließ sich wieder Mathieu vernehmen: »Aber das musst du doch gar nicht, niemand verlangt das von dir. Schau mich an«, fügte er hinzu. »Glaubst du, schwul zu sein, ist einfach? Manchmal würde ich sonst etwas tun, um mich in ein Mädchen verlieben zu können … Und alle wissen, dass ich mit mir selbst bisweilen nicht zurechtkomme.«
Die drei schauten sich an und fingen plötzlich an zu lachen.
»Das ist ja wie Gruppentherapie«, stöhnte Dominique kopfschüttelnd.
»Du bist schuld«, sagte Pascal und schlug ihm auf die Schulter. »Du bist schon seit Tagen komisch drauf.«
Dominique musste sich eingestehen, dass Pascal recht hatte. Was er auch zu unterdrücken versuchte, war der »Faktor« Michelle …
»Auf die Paralympics der Freundschaft also!« Er hob seine leere Dose. »Danke, Leute. Wirklich. Manchmal verliert man einfach den Überblick und braucht ein bisschen Aufmunterung. Das ist alles.«
Er war rot geworden, denn es war ihm jetzt ein bisschen peinlich, so die Fassung verloren zu haben. Außerdem: Eigentlich gönnte er seinem Freund ja dieses »Mädchen Michelle« ; es war nur so schwer für ihn, manchmal …
In diesem Moment ertönte die Klingel, und die Schüler kehrten langsam in das Schulgebäude zurück. Dominique winkte Pascal zu sich.
»Hör mal«, er räusperte sich und lächelte dann verschwörerisch. »Ich habe die Tabelle konsultiert. Michelle und du, ihr passt wirklich gut zusammen. Das wird schon.«
Pascal ahnte, was in ihm vorging. »Okay«, sagte er
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