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Totenreise

Totenreise

Titel: Totenreise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Lozano Garbala
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einen Abschiedsbrief hinterlassen«, sagte die Frau schluchzend. »Ich habe einen roten Umschlag genommen und ihn gut sichtbar hingelegt. Ich habe meinen Mann geliebt, niemals hätte ich ihn in eine solche Lage gebracht. Aber mein Sohn, Daniel, dem wir angedroht hatten, dass wir ihn enterben würden, wenn er sich nicht änderte, kam vor ihm nach Hause, in unsere Wohnung. Als er sah, was passiert war, nahm er den Brief an sich und arrangierte es so, dass es aussah, als hätte sein Vater die Tat begangen. Merkst du, was für einen Sohn wir hatten? Es hat funktioniert: Er bekam das Familienvermögen … und mein Mann sitzt noch immer im Gefängnis.«
    Pascal war erschüttert.
    »Bisher war ich unfähig, meinen Mann unter diesen Umständen zu verlassen, und blieb im Zwischenreich, in seiner Nähe«, fuhr das Gespenst fort. »Aber ich kann nicht mehr! Du musst den Brief finden, den ich hinterlassen habe, und ihn der Polizei übergeben! Erst dann werden sie den Unschuldigen freilassen, und ich kann gehen! Ich bitte dich, hilf mir!«
    »Ich … ich bin nicht sicher, ob ich dir helfen kann. Ich weiß nicht einmal, wo ich anfangen soll … Und wenn euer Sohn den Brief vernichtet hat?«
    »Das hat er nicht. Er hat ihn bei sich zu Hause versteckt. Es gibt Menschen, die mit der Erinnerung an ihre Taten leben können, ohne Gewissensbisse«, stellte die Frau traurig fest.
    Ein bedrohliches tiefes Knurren hallte auf einmal durch die Weite des Raums, in dem sie miteinander sprachen. Das Gespenst machte ein erschrockenes Gesicht und klammerte sich wieder an Pascal, der jetzt begriff, weshalb die Frau sich hin und wieder umgewandt hatte; sie waren nicht allein in dieser düsteren Umgebung.
    »Sie haben dich gehört«, sagte sie geheimnisvoll.
    Wieder ertönten die bedrohlichen Geräusche. Sie kamen aus einer großen Öffnung im Boden, die Pascal erst jetzt entdeckte. Gleich darauf nahm er etwas Großes, Unförmiges wahr, das sich durch das Dunkel bewegte, und begriff die Angst der Frau: Sie sahen aus wie Wesen aus einem Albtraum.
    In Pascals Furcht mischte sich Ekel. Es waren gigantische Würmer von mehreren Metern Länge. Ihre fetten Leiber waren von einer schleimigen, eitrigen Hülle umgeben, und sie hinterließen eine breite Schleimspur, die in der Dunkelheit grün phosphoreszierte. Würmer, die zu den Aasfressern gehörten und Leichen verschlangen, mutiert zu unnatürlichen Größen.
    Die Kreaturen bewegten sich nervös hin und her, als hätten sie Witterung aufgenommen. Ganz offensichtlich – sie hatten Pascal entdeckt, deshalb waren sie hervorgekrochen. Die Augen in ihren Köpfen waren verkümmert, wohingegen die Münder riesig und mit einer großen Zahl unregelmäßiger Zähne versehen waren, über die unruhig eine dicke, mit Pusteln bedeckte Zunge glitt. Ihr stinkender Atem verpestete alles ringsum.
    Es waren drei, und sie schoben sich langsam in Pascals Richtung. Es machte den Eindruck, als würden sie zerfließen, statt sich vorwärtszubewegen. Doch sie kamen voran und waren schon gefährlich nah.
    Pascal sah auf seine leeren Hände. Unter diesen Bedingungen konnte er sich den Kreaturen nicht entgegenstellen, und er hatte auch nicht die Absicht, es zu tun. Doch vor Ekel war er wie gelähmt, konnte seine Beine nicht bewegen.
    »Du musst gehen!«, flehte ihn die Frau an. »Mir können sie nichts tun, ich bin ein Geist. Aber du bist am Leben, dich können sie auffressen, wie sie es mit dem toten Fleisch tun.«
    Er blickte sie an und versuchte, seine Panik niederzukämpfen.
    Ein erneutes Knurren der Monsterwürmer erklang.
    »Verdammter Mist!«, stieß er schließlich hervor. »Ich verschwinde! Wie komme ich hier weg?«
    Die Frau zeigte auf den entfernten Punkt weit oben in der Dunkelheit. Das Licht des Spiegels.
    »Schnell«, sagte sie. »Du musst hinaufsteigen. Wenn du noch zögerst, dann werde ich niemals erlöst …«
    Pascal drehte sich eilig auf dem Absatz um und rannte los. Er stolperte häufig. Schnell bemerkte er, dass der Anstieg des porösen Grundes steiler wurde, bis sein Lauf zu einer Klettertour wurde, dem Spiegel entgegen, der noch immer schimmerte und ihm die Sicherheit seiner Welt versprach. Dank der rauen Oberfläche fand Pascal mit Leichtigkeit Haltegriffe, an denen er sich emporhangeln konnte, auch wenn er mit seinen schwitzenden Händen hin und wieder abrutschte.
    Schnell erreichten auch die Würmer den Rand der Steigung. Die weiche Konsistenz ihrer Körper machte ihnen den Aufstieg leicht. Sie kamen ihrem

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