Totenreise
Hellseherin zog aus der Tasche ihrer Tunika ein Stück versilbertes Metall, auf dem eine Sonne eingraviert war und das an einer dünnen Kette hing. Pascal gehorchte und legte es sich um den Hals.
»Das ist ein Amulett gegen das Böse. Es kündigt dir an, wenn Gefahr droht. Wenn sich etwas Böses dem Medaillon nähert, wird das Metall kalt. Trag es immer unter der Kleidung, direkt auf der Haut, hole es hervor, falls dich irgendetwas angreifen sollte, und halte es hoch. Ich trage ebenfalls eines auf der Brust.«
»Mach ich«, versprach Pascal mit dünner Stimme. »Danke, Daphne.«
»Verlier es nicht, ich habe nur noch ein einziges, das ich jemand anders geben muss. Mein ganzes Leben habe ich diese Talismane aufbewahrt, doch jetzt ist der Moment gekommen, sie zum Einsatz zu bringen. Dafür wurden sie vor Jahrhunderten hergestellt, von einem berühmten Alchemisten des Mittelalters. Allerdings«, fügte sie hinzu, »hat er den Verstand verloren, so besessen war er davon, den berühmten Stein der Weisen zu finden. Das Böse im Gewand des Ehrgeizes hat seinen Geist zerstört.«
Pascal nickte nervös. Er hatte noch etwas anderes auf dem Herzen.
Zögerlich fragte er: »Als wir uns kennengelernt haben, hast du behauptet, dass Michelle, das Mädchen, deretwegen ich zu dir gekommen war, ebenfalls etwas mit dieser Sache zu tun haben würde. Was wird das sein? Wie wird sie mit all dem verstrickt sein?«
Daphne zuckte mit den Schultern.
»Die Sache fängt gerade erst an, du wirst schon noch dahinterkommen, hab Geduld. Abgesehen von ihr – das Wichtigste bist im Augenblick du, und du bist es, der sich schützen muss. Bedenke, dass sich die Vampire nur bei Nacht hinauswagen, da ihnen das Sonnenlicht wehtut. Tagsüber brauchen wir uns also keine Sorgen zu machen. Doch sobald die Sonne untergeht, musst du dich an einem sicheren Ort verstecken, den du unter keinen Umständen verlassen darfst. Verstehst du, Pascal? Das ist sehr wichtig.«
Pascal schaute verwirrt drein.
»Ich … Aber ich bin doch ein ganz normaler Typ«, sagte er. Es klang kläglich, als wollte er nicht glauben, was er hörte. Doch Daphne stieß ein Lachen aus, das sowohl Nervosität als auch Ungeduld verriet.
»Nicht mehr, Pascal. Nicht mehr.«
* **
Düsteres Wortgemurmel drang an Michelles Ohr, begleitet von einem gleichmäßigen und dumpfen Trommelschlag. Nur langsam kam sie zu sich. Ihr Körper schmerzte. Sie lag gefesselt auf einem Karren, jemand hatte ihr eine Art weiße Tunika angezogen, während sie bewusstlos gewesen war.
Noch immer steckte der Knebel in ihrem Mund, doch ihre Nase nahm einen Geruch nach abgestandener, verbrauchter Luft wahr. Schwül und verderbt. Michelle fragte sich, wie man das Bedürfnis nach Frischluft verspüren konnte, wenn man draußen unter freiem Himmel war. Sie überlegte. War sie es denn? Verschwommene Felsumrisse zu beiden Seiten des Wegs schienen es zu bestätigen.
Zweifellos hielt sie sich draußen auf. Doch sie wusste, dass sie noch nie an diesem Ort gewesen war. Sie hob ein wenig den Kopf und versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Plötzlich spürte sie einen Brechreiz, den sie kaum unterdrücken konnte. Ihr wurde schwindelig und erneut verlor sie das Bewusstsein. Als sie ihre Augen wieder öffnete, stellte sie überrascht fest, dass verhüllte Gestalten mit Fackeln in den Händen den Weg beleuchteten. Sie befand sich inmitten eines schweigsamen Gefolges von zehn Männern, die schwarze Habite mit weiten Ärmeln und spitzen Kapuzen trugen. Ein paar zogen den Karren, auf dem sie lag, mit stoischer Langsamkeit, niemand sprach ein Wort.
Die düsteren Gestalten schienen Angehörige irgendeines geheimnisvollen Ordens zu sein, vielleicht eines, der Satan anbetete. Michelle fühlte Angst in sich aufsteigen. In ihrer weißen Kluft bot sie den Anblick einer Jungfrau, die für eine Opferung vorbereitet worden war.
Tränen stiegen ihr in die Augen, ließen sich nicht beherrschen, rannen ihr still über das Gesicht. Sie fühlte sich ausgeliefert, hilflos und allein, schicksalsergeben.
Die Trommel, die den düsteren Zug begleitete, erklang in einem gleichmäßigen Rhythmus, und ihre Schläge hallten in der reglosen Umgebung wider. Es war merkwürdig, ihr schien nach und nach, als holte gerade dieser Trommelschlag sie aus ihrer Stimmung, als würde der dumpfe, stetige Takt ihr einen Anflug von Kraft verleihen. Sie straffte sich.
Mit Aufmerksamkeit betrachtete sie nun die Umgebung. Sie zogen über ein weites Plateau.
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