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Totensonntag

Totensonntag

Titel: Totensonntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Jürgen; Tewes Reitemeier
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trotzte der Kälte, die ihn augenblicklich umklammerte, zog hastig seine Pantoffeln an und lief in die Küche. Mit der Zeit hatte er es zu einer wahren Perfektion beim Entfachen des Feuers gebracht. Und wenn dann die ersten Flammen am Holz leckten und die Brennkammer erleuchteten, wenn die erste Wärme noch zaghaft gegen die Kälte ankämpfte, dann hastete Schwiete zurück in sein Schlafzimmer, kroch eilig wieder unter die warme Decke und wartete darauf, dass es in der Küche erträglich warm wurde.
    Ein nasses Ahornblatt wurde vom Wind gegen die Wohnzimmerscheibe geklatscht und blieb an ihr haften. Schwiete sah sich das Blatt eine Zeit lang gedankenverloren an. In diesem Moment läutete es an seiner Wohnungstür. Es war seine Vermieterin Hilde Auffenberg.
    »Kommen Sie heute Abend doch zum Essen. Unser Nachbar Herbert Höveken wird auch da sein. Ich koche etwas Gutes, und wir machen eine schöne Flasche Wein auf. Vielleicht gelingt es uns ja so, der Tristesse der Jahreszeit zu entgehen«, meinte seine Hauswirtin mit einem freundlichen Lächeln.
    Er führte kein schlechtes Leben, fand Horst Schwiete und dankte seiner Vermieterin für die nette Einladung. Dann trank er mit ihr noch eine Tasse Kaffee, bevor er seine Wohnung in Ordnung brachte. Eine Tätigkeit, die höchstens zwei Minuten in Anspruch nahm, denn Schwiete war Pedant. Unordnung gab es bei ihm nicht.
    Nach dem Abwasch widmete er sich seiner Sonntagszeitung. Doch immer wieder wanderten seine Gedanken zurück in seine Kindheit. Mit seinem Vater hatte er sich immer gut verstanden. Doch als sein Lehrer vorgeschlagen hatte, ihn aufs Gymnasium zu schicken, war sein Vater strikt dagegen gewesen.
    Seit Generationen seien die Männer in seiner Familie Waldarbeiter, hatte er gesagt. Das sei ein ordentlicher Beruf. Ständig an der frischen Luft, und Holz würde immer gebraucht. Außerdem habe so eine Arbeit noch keinem geschadet. Das gelte auch für seinen Sohn.
    Doch der junge Lehrer war hartnäckig geblieben. Immer wieder hatte er den Vater aufgesucht, und letztendlich war es ihm doch gelungen, ihn zu überreden.
    Schwietes Mund verzog sich zu einem Lächeln. Ja, er war aufs Gymnasium gegangen. Doch die Wurzeln waren für einen Holzfäller offenbar sehr wichtig, denn Horst Schwiete musste schon als kleiner Junge mit in den Wald. Hier hatte er alles über die Natur gelernt, was sein Vater ihm beibringen konnte. Auch das Holzfällen musste Schwiete lernen, und es hatte ihm ebenso viel Spaß gemacht wie das Büffeln in der Schule.
    Als es nach dem Abitur ans Studieren ging, fehlte es am Geld, und ein Kredit kam weder für den Vater noch für den Sohn infrage. Also wurde Schwiete Polizist. Auch heute noch, nachdem er diesen Beruf seit über zwanzig Jahren ausübte, war er froh, ihn ergriffen zu haben. Klar, er war immer ein Sonderling gewesen. Am Gymnasium war er als Sohn des Holzfällers belächelt worden, doch er war schlau und stark. Das eine war nützlich im Klassenzimmer, das andere auf dem Schulhof. Die Mädchen mochten ihn, doch er war viel zu schüchtern, sich dies zunutze zu machen. Bis heute hatte er keine Freundin.
    In der Polizeischule war er wieder ein Einzelgänger. Er soff nie und war immer leise. Manche seiner Kollegen nannten ihn einen Streber. Doch Schwiete hatte sich für einen Beruf entschieden, der ihm gefiel, den er sich ausgesucht hatte und der ihm, wie er fand, lag.
    Er liebte es, an Fällen herumzuknobeln, er verfügte über so etwas wie Intuition und ließ bei der Polizeiarbeit auch seinem Gefühl den nötigen Raum. Manche Kollegen fanden ihn eigenbrötlerisch und verschlossen, manche sogar linkisch. Er passte eben an vielen Stellen nicht ins Bild. Aber er war mit sich im Reinen. Er hatte sich für einen Weg entschieden, der zwar schwierig war, aber es war seiner. Und das, was ihm der Vater beigebracht hatte, wenn sie Tiere beobachteten, das Warten, war eine seiner Stärken – damals im Wald und heute als Polizist. Doch das Wichtigste, was er bei der Waldarbeit gelernt hatte, war: Die Sicherheit steht vor allem.
    Heute hatte sich in seinen penibel durchstrukturierten Tag eine unerwartete Eigendynamik eingeschlichen und jede Ordnung über den Haufen geworfen. Beim Grübeln und Zeitunglesen war die Zeit vergangen, ohne dass Schwiete es bemerkt hatte. Als er auf die Uhr sah, stellte er fest, dass er nur noch eine Viertelstunde hatte, um sich ausgehfertig zu machen.
    Zwar musste er nur eine Etage tiefer gehen, nämlich in Hilde Auffenbergs Küche,

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