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Totensonntag

Totensonntag

Titel: Totensonntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Jürgen; Tewes Reitemeier
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mit weißem Mull bandagiert.
    Der Polizist, der seinen Kopf nun ein wenig aus dem schützenden Inneren des Autos hielt, machte eindeutige Gesten, mit denen er die beiden Alten ärgerlich hinter das rot-weiße Flatterband trieb. Als er sich zurück in den Bulli verzog, erkannte Schwiete seinen Kollegen Kükenhöner. Der Hauptkommissar hatte das Geschehen aufmerksam beobachtet. Er hatte das Gefühl, dass dort etwas geschah, was bei der Aufklärung der Detonationsursache von Bedeutung sein könnte. Es war nur so ein Gefühl, das Schwiete hatte, eine Intuition. Doch solche Eindrücke nahm der Polizist stets ernst, auch wenn seine Kollegen ihn deswegen meist belächelten. Also entschloss er sich, nicht weiter in den Trümmern des Hauses zu suchen, sondern zum Polizeibulli zu gehen. Als er dort ankam, war von den beiden Alten nichts mehr zu sehen. Die Dunkelheit hatte sie verschluckt. Schwiete öffnete die Schiebetür des Transporters. Er hatte sie kaum zehn Zentimeter zur Seite gezogen, da hörte er schon die unfreundliche Stimme seines Kollegen.
    »Horsti Schwiete! Hätte ich gewusst, dass du dich auch hierherbequemst, dann wäre ich mit dem Arsch im Bett geblieben«, bemerkte Kükenhöner und verzog die Mundwinkel zu einem bitteren Lächeln.
    Schwiete schwieg.
    »Was ist los? Hat es dir die Sprache verschlagen? Komm rein, und mach die Tür zu, oder hilf der Feuerwehr beim Wegräumen der Steine!«
    Wortlos kletterte Schwiete in das Innere des Fahrzeugs und zog die Tür hinter sich zu. Er setzte sich Kükenhöner gegenüber und sah ihn längere Zeit aufmerksam an. »Was wollten die beiden alten Leute von dir?«
    Kükenhöner winkte ab. »Ach, hör auf, neugierige Nachbarn von gegenüber, du kennst das doch, da sind so ein paar Alte, die langweilen sich den ganzen Tag zu Tode, und wenn dann endlich mal was passiert, dann stehen die gleich auf der Matte und labern dir ein Ohr ab. Aber nicht mit mir! Ich habe denen gesagt, dass sie morgen in die Polizeibehörde kommen sollen, um ihre Aussage zu machen. Wenn das wirklich wichtig war, was die beiden Alten zu sagen hatten, dann laufen die morgen früh bei uns auf. Wenn nicht, war es auch nicht wichtig.«
    Schwiete schwieg. Es gefiel ihm nicht, wie sein Kollege sich verhielt. Der wurde von Jahr zu Jahr fatalistischer.
    Die unangenehme Stille veranlasste den schlecht gelaunten Polizisten, weiter provokant draufloszubrabbeln.
    »Ich weiß, du hättest dir den Sermon der Alten angehört, hättest einen auf verständnisvoll gemacht. Wie du es immer tust.
    Aber das kannst du von mir nicht erwarten. Ich hab ja schon genug Stress zu Hause. Irgendwann hört das Verständnis für jedermann mal auf. Da muss ich mir nicht noch dieses Gelaber von ein paar Rentnern anhören, die nichts anderes zu tun haben, als überall ihre Nase hineinzustecken.«
    Wieder herrschte längeres Schweigen. Schwiete räusperte sich. »Doch, Karl, das erwarte ich von dir! Ich verlange, dass du jedem, der sich in dienstlichen Angelegenheiten an dich wendet, aufmerksam und höflich zuhörst.«

5
    Eigentlich war Miguel Perreira gern Polizist. Schon seitdem er als Vierjähriger mit seinen Eltern von Portugal nach Paderborn gezogen war, hatte ihm die Vorstellung behagt, in einer schmucken Uniform durch die Stadt zu laufen, von den Passanten respektvoll gegrüßt zu werden und dabei das zufriedenstellende Gefühl zu haben, einer guten Sache zu dienen. Später war die Hoffnung dazugekommen, damit Frauen zu beeindrucken. Er hatte es tatsächlich geschafft, diesen Kindertraum zu verwirklichen, war als Einwandererkind in der Mitte der Paderborner Gesellschaft angekommen und war mit sich und der Welt im Reinen. Da er seinen Dienst gewissenhaft versah und ein sonniges Gemüt hatte, war er bei den Bewohnern der Stadt und bei seinen Kollegen gleichermaßen beliebt. So schnell brachte ihn nichts aus der Ruhe.
    Solche Jobs wie in dieser Nacht allerdings fand er öde. Er saß in seinem Dienstwagen und versuchte immer wieder, durch die verregnete Seitenscheibe einen Blick auf die noch immer rauchenden Trümmer des explodierten Hauses zu werfen. Das Einfamilienhaus neben dem riesigen Westfriedhof war nahezu restlos zerstört worden. Eine Hauswand war in den Garten gekippt, und keine Fensterscheibe war heil geblieben. Da, wo noch vor kurzer Zeit die Haustür ihren Platz gehabt hatte, war jetzt ein schwarzer Schlund zu sehen. Und was von dem Gebäude noch stand, erinnerte in der Dunkelheit an eine alte Ruine. Vermutlich war die

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