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Schatten über Oxford

Titel: Schatten über Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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    Ich besuchte Chris und Susie nur ein einziges Mal, während sie in Oxford untergebracht waren, obwohl ich das Anrecht auf eine Bahnfahrkarte im Monat hatte. Vielleicht hätte ich mich bemühen sollen, sie öfter zu sehen, doch ich war der Überzeugung, dass die Kinder glücklich sein mussten. In ihrem Quartier war es warm, und sie bekamen gut zu essen, während wir dort unten in Peckham ganz schön zu kämpfen hatten.
    Es war in den ersten Januartagen des Jahres 1945. Ich brauchte Chris nur anzuschauen, um zu wissen, dass er seine ganze Hoffnung darauf setzte, ich würde ihn und Susie mit zurück nach London nehmen.
    »Das geht leider nicht, Chris, alter Kumpel«, sagte ich.
    »Wir möchten gern heim«, flüsterte er erneut. Er hielt meinen Arm umklammert, und sein Griff war so fest, dass es schmerzte. Ich hatte damals nicht gerade viel Fleisch auf den Rippen. »Eigentlich will sie uns gar nicht.«
    Natürlich sprach er von Miss Marlyn. Ich hatte sie gerade erst kennen gelernt und verstand nicht recht, warum der Junge sich so anstellte. Sie war größer als die meisten mir bekannten Frauen und besaß eine angeborene Autorität, die Menschen ihrer sozialen Schicht, Männer ebenso wie Frauen, gern an den Tag legen. Trotzdem wirkte sie recht nett. Ihr Gesicht zeichnete sich durch gerade Linien, scharfe Kanten und den kalten Glanz von Elfenbein aus; vielleicht stellten Chris und Susie gar Ähnlichkeiten mit der Hexe aus ihrem Märchenbuch fest. Doch sie lächelte freundlich und bot mir nicht nur eine Tasse Tee mit Zucker an, sondern obendrein auch noch ein Korinthenbrötchen. Sicher haben die Kinder nur Heimweh, dachte ich. Sie wissen nicht, wie gut es ihnen hier geht. Mehr steckt bestimmt nicht dahinter.
    Und Susie wirkte im Gegensatz zu Chris eigentlich auch ganz glücklich.
    »Danny Watts hat ein neues, junges Hündchen«, erzählte sie und klammerte sich an meine andere Hand. »Er sagt, dass ich es in ein paar Tagen ausführen darf.«
    »Klar. Weil es ihm nämlich längst auf die Nerven geht«, erklärte ihr Bruder.
    Unser Chris war schon immer in der Lage gewesen, die Menschen zu durchschauen.
    Miss Marlyns Augen befanden sich auf gleicher Höhe mit meinen. Sie gab sich nicht einmal die Mühe wegzuschauen, als ich sie anstarrte. Ihre nussbraunen Augen fesselten mich. Nein, sie waren nicht nussbraun – eher meergrün mit braunen Sprenkeln. Und sie hatte schwarze Wimpern und ebensolche Augenbrauen. Während wir uns unterhielten, hielt sie ihren Blick ununterbrochen auf mich gerichtet, als interessiere sie sich brennend für jeden noch so banalen Satz, den ich äußerte.
    Ich saß am Küchentisch und trank den Tee, den sie mir in einer Tasse reichte. Schon beim Einschenken war mir der satte Braunton aufgefallen; hier trank man nicht das bleiche Zeug, das uns blieb, wenn unsere Wochenration sich dem Ende zuneigte. Ich süßte ihn mit zwei gehäuften Teelöffeln Zucker – sie blinzelte nicht einmal bei dieser Extravaganz – und fügte aus einem blau-weißen Kännchen Milch hinzu. Das Korinthenbrötchen war dick, voller Früchte und sogar mit Margarine bestrichen. Nachdem ich den Tee getrunken und das Brötchen gegessen hatte, kratzte ich mit dem Löffel den Tassenboden ab, um auch das allerletzte der feuchten, süßen Zuckerkörnchen zu erreichen. Wäre ich allein gewesen, hätte ich die Tasse sicher ausgeleckt wie ein Hund. Doch ich hatte gelernt, mich zu beherrschen, obwohl mir die Mühe vermutlich ins Gesicht geschrieben stand. Ich spürte, wie in meinem Mundwinkel ein Nerv zuckte, doch ich wusste, wie man sich in zivilisierter Umgebung zu benehmen hat. Nachdem ich mit der Tasse fertig war, leckte ich an meinem Zeigefinger, ließ ihn über den Teller gleiten, pickte jeden noch so winzigen Krümel auf und saugte ihn von meinem Finger, um nur ja keinen übrig zu lassen. Ich ertappte Chris dabei, wie er mir einen merkwürdigen Blick zuwarf, doch als er merkte, dass ich ihn ansah, senkte er die Augen. Sei ne Wangen wirkten leicht gerötet, als ob mein Benehmen ihm peinlich wäre. Ach, Chris, wenn du wüsstest! Mir war egal, was er dachte, denn ich konnte doch nicht einfach gutes Essen vergeuden. Was Nahrung wert war, hatte ich auf die harte Tour lernen müssen. Ich lasse keine Le bensmittel verkommen – weder damals noch heute.
    Susie hopste auf ihrem Stuhl herum, lächelte mich an und zeigte ihre Zahnlücken. Sie hatte die ersten Milchzähne verloren. Chris ließ Anzeichen des mürrischen Halbstarken erkennen, zu

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