Touched
ich, wir berührten uns gar nicht, trotzdem summte mein ganzer Körper vor Energie, als würde ich eine Krebserkrankung im vierten Stadium heilen. Nur dass ich meine Fähigkeiten nicht mehr unter Kontrolle hatte. Seine glühend heiße Energie hatte mich fest im Griff, und mein Herz setzte aus, weil ich nicht wusste, wie ich ihn stoppen konnte.
Grüne Funken sprangen von mir auf ihn über.
»Remy?«, rief mein Vater.
Der Energiestrom des Jungen brach ab, und ich fuhr meinen mentalen Schutzwall hoch, wie immer, wenn ich von Menschen umgeben war. Ben stand geduldig bei seinem Wagen, und ich erkannte erleichtert, dass er von seinem Auto aus die Funken nicht hatte sehen können.
Ich winkte erneut und drehte mich dann wieder zu dem Jungen. Er hatte sich nicht vom Fleck gerührt und sah mich gierig an. Seine Energie, die einem entzündeten Sprengstofffass glich, näherte sich mir schon wieder. Doch meine Abwehr hielt stand und sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerzen und Enttäuschung. Es war mir nicht klar, was er getan hatte, aber ich wusste, ich hatte noch nie so eine Angst ausgestanden, selbst dann nicht, wenn Dean mit erhobenen Fäusten auf mich losgegangen war.
Ich ging mehrere Schritte rückwärts in Richtung Ben, undals ich den Mut fand, mich von dem Jungen abzuwenden, rannte ich die restliche Strecke bis zum Wagen meines Vaters. Ich glitt auf den Beifahrersitz, ohne mich darum zu kümmern, dass meine nasse, sandige Jeans das graue Leder ruinierte. Vom sicheren Auto aus wagte ich einen Blick zum Strand. Mein Rückzug hatte vielleicht 20 Sekunden gedauert, aber der Strand war leer.
Der Junge war verschwunden.
2
Ich saß Ben im Seaside Café in einer braunen Vinyl-Sitzgruppe gegenüber und wartete auf seine Standpauke, und zwar wahlweise, weil ich mich gleich am ersten Morgen aus seinem Haus weggeschlichen oder weil ich seinen Ledersitz mit meinen schmutzigen Klamotten ruiniert hatte. Sein beharrliches Schweigen ging mir auf die Nerven, doch der Vorfall am Strand hatte mir zugesetzt.
»Hallo, Ben, was kann ich euch bringen?«
Eine Kellnerin – ihr Namensschild wies sie als Dana aus – kam, um die Bestellung aufzunehmen. Sie musterte mich neugierig.
»Hast du Hunger?«, fragte mich Ben.
Mein Magen knurrte laut. Peinlich. Ben musste hier Stammgast sein, denn Dana notierte sich, dass ich vegetarisches Rührei und einen Kaffee wollte, und ging, ohne sich nach seinen Wünschen erkundigt zu haben.
Das Café schmiegte sich an die Bucht und riesige Fenster boten bombastische Ausblicke auf den Hafen mit seinen Fischerbooten und dem Wirrwarr aus Netzen bis hin zu teuren Segelbooten, die auf ihren Liegeplätzen schaukelten. Ich betrachtete meinen Vater im hellenMorgenlicht. Viele Frauen hätten Ben in seinen Jeans und seinem Strickpulli mit Zopfmuster attraktiv gefunden. Er musterte mich ebenfalls, sein Blick wanderte über mein Gesicht. Als mir auffiel, dass meine schwarze Bluse genau denselben Farbton hatte wie sein Pulli, zog ich eine Grimasse – niemand konnte leugnen, dass ich zu ihm gehörte. Er allerdings hatte es geleugnet – immer und immer wieder, wenn Geburtstage oder Feiertage ohne einen Anruf oder wenigstens eine dämliche Glückwunschkarte vergingen.
»Du siehst aus wie ich. Von deiner Mutter sehe ich überhaupt nichts in dir. Mal abgesehen von den Haaren und den Sommersprossen.«
»Ich bin wie keiner von euch«, erwiderte ich in ausdruckslosem Ton.
Er runzelte die Stirn und wollte etwas sagen, doch da tauchte Dana mit unserem Kaffee auf. Ben beobachtete, wie ich mir drei Päckchen Zucker und vier fingerhutgroße Behälter mit Kaffeesahne in den Becher schüttete. »Du bist zu jung, um Kaffee zu trinken.«
Ich trank einen Schluck und beäugte ihn über den Becherrand hinweg. Wenn er glaubte, er hätte mir etwas zu sagen, dann irrte er sich. Und zwar gründlich.
Er lächelte beinahe und seine Gereiztheit ließ nach. Als er den Kopf schüttelte und lachte, verschwand sie vollends. »Ich verstehe, was du meinst. Deine Mutter hätte nie deinen Mut gehabt!«
Ich dachte, er würde sich über mich lustig machen und machte ein finsteres Gesicht. Er hob entschuldigend seine Hände. Sein Blick huschte zu den Blutergüssen in meinem Gesicht, aber wieder unterbrach uns Dana, die mit dem Essen kam. Es roch köstlich, doch traute ich mich nicht, in seiner Gegenwart einfach reinzuhauen. Ben schien das zu spüren,denn er bedeutete mir anzufangen und entschuldigte sich mit dem Hinweis, er müsse
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