Toxin
Gebäudes führte. Er betrat sein Büro, hängte den blutigen Kittel und den Helm an einen Haken und ließ sich an seinem Schreibtisch nieder, um sich wieder dem täglichen Schreibkram zu widmen.
Da er sehr konzentriert arbeitete, hatte er keine Ahnung, wieviel Zeit verstrichen war, als Jed Street plötzlich in der Tür stand.
»Wir haben ein kleines Problem«, sagte er.
»Was denn?« fragte Morano.
»Der Kopf von dieser beschissenen Kuh ist von der Schiene gefallen.«
»Hat das einer der Kontrolleure gesehen?« fragte Morano.
»Nein«, erwiderte Street. »Sie sind alle mit dem Tierarzt im Umkleideraum und halten ihren täglichen Nachmittagsplausch.«
»Dann häng den Kopf wieder an die Schiene und spritz in ab.«
»Okay«, sagte Street. »Ich dachte nur, du solltest es wissen.«
»Klar«, entgegnete Morano. »Und damit alles seine Ordnung hat, schreibe ich auch noch einen Mängelbericht. Zu welcher Lieferung gehört das Tier, und welche Nummer hat der Kopf?« Street warf einen Blick auf sein Klemmbrett. »Lieferung Nummer sechsunddreißig, Kopf Nummer siebenundfünfzig.«
»Alles klar«, versicherte Morano.
Street verließ Moranos Büro und ging zurück in den Schlachtbereich, wo er Jose auf die Schulter klopfte. Jose gehörte zum Reinigungsdienst. Er hatte die undankbare Aufgabe, den Dreck, der sich auf dem Boden ansammelte, in die zahlreichen Einlaufgitter zu wischen. Er arbeitete noch nicht lange im Schlachthof. Die schmutzige Arbeit brachte es mit sich, daß die Reinigungskräfte nie lange zu halten waren. Jose sprach nicht viel Englisch, und Streets Spanisch war auch nicht viel besser, so daß sich die Kommunikation zwischen den beiden auf grobe Gesten beschränkte. Street gab Jose zu verstehen, daß er Manuel, einem der Enthäuter, helfen solle, den Kopf aufzuheben und ihn auf einen der an der beweglichen Hängeschiene vorbeifahrenden Haken zu hieven. Schließlich kapierte Jose, was er tun sollte. Glücklicherweise konnten sich Jose und Manuel problemlos verständigen, denn die Aufgabe war mühsam. Zunächst mußten sie den über hundert Pfund schweren Kopf auf das Laufband heben. Und dann mußten sie selbst auf das Laufband klettern, um den Kopf auf einen der vorbeifahrenden Haken hängen zu können. Street streckte den beiden keuchenden Männern seinen hochgereckten Daumen entgegen. Um ein Haar hätten sie ihre glitschige Last wieder fallen lassen. Während der schmutzige, gehäutete Kopf an der Hängeschiene weiterlief, spritzte Street ihn mit einem gezielten Wasserstrahl ab.
Kapitel 1
Freitag, 16. Januar
Die Sterling Place Mall war ein einziges Schimmern von Marmor, glänzendem Metall und poliertem Holz. Tiffany konkurrierte mit Cartier, Neiman-Marcus mit Saks. Aus versteckten Lautsprechern erklang Mozarts Klavierkonzert Nummer 23. Herausgeputzte Menschen liefen an diesem späten Freitagnachmittag in ihren Gucci-Schuhen und Armani-Mänteln umher und begutachteten die nachweihnachtlichen Angebote.
Unter normalen Umständen hätte Kelly Anderson nichts dagegen gehabt, ihren Nachmittag im Einkaufszentrum zu verbringen. Als Fernsehjournalistin mußte sie gewöhnlich kreuz und quer durch die Stadt jagen, um nach nervenaufreibenden Recherchen pünktlich ihre fundierten Beiträge für die Achtzehn- oder Dreiundzwanzig-Uhr-Nachrichten zusammenzubekommen. Doch an diesem Freitag hatte die Mall ihr nicht das geliefert, was sie haben wollte.
»Das ist doch wohl ein Witz«, schimpfte sie und ließ ihren Blick nach einem geeigneten Interviewkandidaten über den breiten Gang schweifen. Doch weit und breit war keiner zu entdecken.
»Ich denke, wir haben genug«, sagte Brian. Brian Washington, ein schlaksiger, lässiger Afro-Amerikaner, war Kellys Lieblings-Kameramann. Ihrer Meinung nach war er der beste, den WENE zu bieten hatte. Damit der Disponent des Senders ihr Brian zuteilte, hatte sie all ihre Überredungskünste aufgewandt und war selbst vor Drohungen nicht zurückgeschreckt. Kelly holte tief Luft und seufzte verzweifelt. »Von wegen«, widersprach sie. »Wir haben rein gar nichts.«
Kelly Anderson war eine vierunddreißigjährige, sachliche, intelligente und kämpferische Frau, die darauf hoffte, bald den Sprung zu einem großen Nachrichtensender zu schaffen. Die meisten ihrer Kollegen glaubten, daß sie gute Karten hatte, wenn sie nur eine Story auftat, mit der sie sich ins Rampenlicht katapultieren konnte. Mit ihren scharfen Gesichtszügen, ihren lebendigen Augen und ihren dichten,
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