Toxin
viel zurückzubekommen.«
»Hmmm«, grummelte Kelly. »Darüber muß ich erst mal nachdenken. Aber vorerst drückt mich ein ganz anderes Problem.
Ich arbeite gerade an einem Beitrag für die Dreiundzwanzig-Uhr-Nachrichten heute abend. Auf den Tag genau vor sechs Monaten hat AmeriCare das Samaritan Hospital mit dem University Med Center zusammengelegt. Eigentlich wollte ich über die Reaktion der Öffentlichkeit berichten, aber den meisten Leuten ist das Thema anscheinend völlig egal. Deshalb würde ich gerne mit Ihrem Mann sprechen, denn ich bin sicher, daß er eine Meinung zu der Zusammenlegung der Kliniken hat. Kommt er zufällig heute auch zur Eisbahn?«
»Nein«, kicherte Tracy, als ob Kelly etwas völlig Absurdes gefragt hätte. »Er verläßt das Krankenhaus unter der Woche nie vor sechs oder sieben Uhr. Niemals!«
»Schade«, entgegnete Kelly, während sie im Geiste schnell verschiedene Möglichkeiten durchging. »Glauben Sie, Ihr Mann würde mit mir sprechen?«
»Keine Ahnung«, entgegnete Tracy. »Wir sind seit ein paar Monaten geschieden. Daher weiß ich wirklich nicht, wie er im Augenblick über Sie denkt.«
»Oh, das tut mir leid«, erklärte Kelly aufrichtig. »Davon wußte ich nichts.«
»Es muß Ihnen nicht leid tun. Es war für alle das beste. Wir sind der Zeit zum Opfer gefallen und haben im Grunde einfach nicht zueinander gepaßt.«
»Na ja, ich kann mir schon vorstellen, daß es kein Honigschlecken ist, mit einem Chirurgen verheiratet zu sein, und mit einem Herzchirurgen schon gar nicht. Die glauben doch, daß im Vergleich zu ihrer Arbeit alles andere völlig bedeutungslos ist.«
»Hmm«, entgegnete Tracy unverbindlich. »Ich würde es nicht aushalten, das weiß ich«, fuhr Kelly fort. »Ihr Ex-Mann ist derart egoistisch und ichbezogen - mit so einer Persönlichkeit käme ich nie klar.«
»Das wiederum sagt vielleicht etwas über Sie aus«, stellte Tracy fest.
»Meinen Sie?« fragte Kelly und hielt einen Augenblick inne. Die Frau war nett, aber auch ganz schön schlagfertig. »Vielleicht haben Sie recht. Aber lassen Sie mich noch eins fragen: Haben Sie eine Ahnung, wo ich Ihren Ex-Mann in diesem Moment antreffen kann? Ich würde wirklich gerne mit ihm reden.«
»Ich kann mir denken, wo er ist«, erwiderte Tracy. »Im OP. Der ständige Kampf um OP-Zeiten im Krankenhaus hat dazu geführt, daß er seine drei wöchentlichen Fälle neuerdings alle am Freitag operieren muß.«
»Danke. Ich fahre gleich rüber und versuche ihn zu erwischen.«
»Nur zu!« sagte Tracy. Sie winkte Kelly hinterher, die zügigen Schrittes um die Eisbahn herum zurückging. »Viel Glück!« murmelte sie vor sich hin.
Kapitel 2
Freitag, 16. Januar
Alle fünfundzwanzig Operationssäle des University Medical Centers sahen gleich aus. Sie waren erst vor kurzem renoviert und neu eingerichtet worden und in jeder Hinsicht auf dem neuesten Stand. Die Böden waren mit einem weißen Verbundmaterial ausgelegt, das wie Granit aussah. Die Wände waren grau gefliest. Die Lampen und Armaturen waren entweder aus rostfreiem Stahl oder matt schimmerndem Nickel. OP Nummer zwanzig war einer von zwei OPs, in denen Operationen am offenen Herzen durchgeführt wurden. Um Viertel nach vier herrschte hier Hochbetrieb. Mit den Perfusionsexperten, den Anästhesiologen, den zahlreichen OP-Schwestern, den Chirurgen und all der notwendigen High-Tech-Ausrüstung war es in dem Raum ziemlich eng. Im Moment lag das von einer Unmenge blutiger Klebestreifen, Nahtmaterial, metallenen Wundspreizern und grünen Operationsabdecktüchern umgebene stillstehende Herz des Patienten völlig frei. »Okay, das war’s«, sagte Dr. Kim Reggis. Er reichte der OP-Schwester seinen Nadelhalter und richtete sich auf, um seinem steifen Rücken ein wenig Erleichterung zu verschaffen. Er stand seit halb acht am Operationstisch. Dies war sein dritter und letzter Fall. »Stoppen wir die Kardioplegielösung, und bringen wir die Pumpe wieder in Gang!« Kims Aufforderung löste am Bedienungspult der Herz-Lungen-Maschine hektische Betriebsamkeit aus. Schalter wurden umgestellt. »Aufwärmung in Gang«, rief der Perfusionsspezialist in den Raum.
Die Anästhesiologin sah konzentriert auf die Ätheranzeige. »Wie lange brauchen Sie schätzungsweise noch?« fragte sie.
»In fünf Minuten nähen wir ihn wieder zu«, erwiderte Kim. »Vorausgesetzt, das Herz spielt mit. Aber es sieht gut aus.« Nach ein paar sprunghaften Schlägen hatte das Herz seinen normalen
Weitere Kostenlose Bücher