Träume der Dunkelheit: Erzählungen (German Edition)
dreistöckigen Gebäude kamen sie auf ihn zu – ein ganzer Schwarm von Kindern, die auf ihn zustürmten wie eine Bienenplage und ihn um Geld und etwas zu essen anbettelten.
Die Kinder umringten ihn, ein halbes Dutzend aller Altersstufen und Größen, deren flinke kleine Hände geschickt unter seinen Umhang und in seine Taschen glitten. Ihre Stimmen bettelten und flehten, kleine Finger tasteten ihn ab. Die armen Kinder, dachte er. Seine Spezies konnte ihre Söhne und Töchter kaum über das erste Jahr hinaus am Leben erhalten. So wenige nur schafften es, und diese Kinder wiederum, so kostbar sie auch waren, hatten niemanden, der für sie sorgte. Drei waren Mädchen mit riesigen, traurigen Augen, die zerfetzte und zerlumpte Kleider trugen und Schmutz in ihren mit blauen Flecken übersäten schmalen Gesichtern hatten. Er konnte die Furcht in ihren wild pochenden Herzen hören, als sie ihn um Essen, Geld oder auch nur ein Stückchen altes Brot anbettelten. Alle rechneten mit Schlägen und Ablehnung und hielten sich bereit, beim ersten Anzeichen von Aggression davonzulaufen.
Falcon strich einem der Kinder sanft über den Kopf und murmelte ein paar bedauernde Worte. Er hatte den Reichtum, den er während seines langen Lebens angesammelt hatte, nie gebraucht, und obwohl dies genau der richtige Ort dafür gewesen wäre, hatte er leider nichts von all dem Geld dabei. Er schlief in der Erde und jagte, um sich zu ernähren. Und dort, wo er hinging, brauchte er kein Geld. Die Kinder schienen alle gleichzeitig zu reden, was ein Angriff auf seine empfindlichen Ohren war, bis ein leiser Pfiff sie jäh verstummen ließ. Sofort herrschte Stille. Die Kinder fuhren auseinander, verschmolzen mit den Schatten und verschwanden im Inneren der heruntergekommenen Gebäude, als wären sie nie da gewesen.
Der Pfiff war sehr leise gewesen, und trotzdem hatte Falcon ihn ganz deutlich durch den Regen und die Dunkelheit gehört. Der Wind hatte ihn geradewegs zu seinen Ohren getragen. Das Geräusch war interessant, da der Ton genau auf ihn abgestimmt zu sein schien. Er mochte eine Warnung für die Kinder sein, aber für Falcon war er eine Versuchung, eine Verführung seiner Sinne. Er verwirrte und faszinierte ihn, dieser leise kleine Pfiff, und weckte sein Interesse wie nichts anderes in den vergangenen Jahrhunderten. Falcon konnte fast die Töne in der regennassen Luft tanzen sehen. Oh ja, dieses Geräusch schlüpfte an seinen Barrieren vorbei und fand den Weg in seinen Körper wie ein Pfeil, der geradewegs auf sein Herz abzielte.
Ein anderes Geräusch ertönte. Diesmal waren es schwere Stiefelschritte, und Falcon wusste, was jetzt kam. Die Straßendiebe. Die Schläger des Viertels, die glaubten, es gehörte ihnen, und jeder, der es wagte, ihr Territorium zu betreten, müsse etwas dafür bezahlen. Sie sahen nur seine gut geschnittene Kleidung, das perfekt sitzende Seidenhemd unter dem üppig gefütterten Cape, und ließen sich in seine Falle locken, wie er es von Anfang an vorausgesehen hatte. Es war immer das Gleiche. In jedem Land, in jeder Stadt und zu jeder Zeit. Immer und überall gab es diese umherstreifenden Straßengangs, die auf Zerstörung aus waren oder das Recht für sich in Anspruch nahmen, sich zu nehmen, was ihnen nicht gehörte. Die Fänge in Falcons Mund verlängerten sich augenblicklich wieder.
Sein Herz klopfte schneller als gewöhnlich, was für ihn ein verblüffendes Geschehen war, denn normalerweise war sein Herzschlag beständig und immer gleich. Falcon kontrollierte ihn so beiläufig und mühelos, wie er auch alle anderen Aspekte und Funktionen seines Körpers kontrollierte, doch das Rasen seines Herzens jetzt war ungewöhnlich, und jede Abwechslung war ihm willkommen. Diese jungen Männer, die jetzt Aufstellung nahmen, um ihn zu umzingeln, würden heute Nacht nicht durch seine Hand sterben. Sie würden dem rasenden Raubtier entkommen, und seine Seele würde infolge zweier Dinge unversehrt bleiben: wegen seines beschleunigten Herzschlags und des leisen Pfiffs.
Eine seltsam unförmige Gestalt trat aus einem Eingang direkt vor ihm. »Laufen Sie, Mister!« Die Stimme war leise und rau, die Warnung klar. Sofort zog sich die merkwürdig unförmige Gestalt wieder zurück und verschwand in irgendeiner verborgenen Nische.
Falcon blieb stehen. Alles in ihm erstarrte förmlich. Still wie eine Statue stand er plötzlich da und konnte fast nicht glauben, was er sah. Er hatte seit fast zweitausend Jahren keine Farbe mehr
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