Träume der Dunkelheit: Erzählungen (German Edition)
gesehen, doch nun starrte er auf einen hässlichen roten Anstrich, der von den Überresten eines Gebäudes abblätterte. Es war unmöglich, völlig irreal. Vielleicht verlor er neben seiner Seele ja auch noch den Verstand. Niemand hatte ihm gesagt, dass er vor dem Verlust seiner Seele wieder Farben sehen würde, und die Untoten hätten mit einer solchen Leistung sicherlich geprahlt. Vorsichtig trat er einen Schritt auf das Gebäude zu, in dem die Stimme verschwunden war.
Doch es war zu spät. Die Halbwüchsigen hatten schon einen lockeren Halbkreis um ihn gebildet. Sie waren groß und kräftig, und viele von ihnen ließen ihn ihre Waffen sehen, um ihn einzuschüchtern. In einer Hand blitzte ein Messer auf, in einer anderen sah er einen Baseballschläger. Sie wollten ihm Angst einjagen, damit er ohne Gegenwehr seine Brieftasche herausrückte. Aber damit würde es nicht enden. Falcon hatte zu oft ein solches Szenario gesehen, um nicht zu wissen, was er zu erwarten hatte. Zu jeder anderen Zeit wäre er ein in ihrer Mitte herumwirbelndes Tier gewesen und hätte sich von ihrem Blut genährt, bis der furchtbare Hunger in ihm gestillt gewesen wäre. Doch heute war alles anders, fast schon verstörend anders. Statt nichts als trübe Grautöne um sich herum zu haben, konnte Falcon die Kerle in lebhaften Farben sehen. Sie trugen blaue und violette Hemden, und eins war sogar in einem scheußlichen Orange.
Alles schien viel lebhafter zu sein. Sein Gehör war sogar noch schärfer als gewöhnlich, und die Regentropfen sahen wie glitzernde Silberfäden aus. Falcon atmete tief die kühle Nachtluft ein, nahm die Gerüche darin in sich auf und trennte sie voneinander, bis er den einen fand, nach dem er suchte. Diese unförmige Gestalt war kein Mann gewesen, sondern eine Frau. Und sie hatte sein Leben schon jetzt für alle Zeit verändert.
Die Männer kamen drohend näher, und der Anführer rief ihm zu: »Wirf mir deine Brieftasche herüber!« Einfach so. Ohne lange Vorreden oder Imponiergehabe gingen sie direkt zum Geschäft des Raubens und des Mordens über. Falcon hob langsam den Kopf, bis sein feuriger Blick dem herausfordernden des Anführers begegnete. Das Lächeln des Kerls verblasste und erstarb dann ganz. Offenbar hatte er den Dämon in den rot glühenden Flammen in Falcons Augen entdeckt.
Ganz unversehens erschien wieder die unförmige Gestalt vor Falcon, griff nach seiner Hand und zog daran. »Weg hier, Sie Idiot, verschwinden Sie!«, flüsterte die Frau eindringlich und zerrte an seiner Hand, um ihn näher an die dunklen Gebäude heranzuziehen. Ihre Stimme war von Furcht geprägt – Furcht um ihn und seine Sicherheit. Sein Herz verkrampfte sich, als ihm das bewusst wurde.
Die Stimme war weich und wohlklingend, ihr Tonfall darauf abgestimmt, Falcon zu beruhigen. Ein heißes, drängendes Verlangen ergriff seinen Körper und seine Seele und sandte kleine Stromstöße durch seine Blutbahn. Er konnte weder das Gesicht der Frau noch ihren Körper sehen, hatte keine Ahnung, wie sie aussah oder wie alt sie war, aber seine Seele schrie nach ihrer.
»Du schon wieder.« Der Anführer der Bande wandte sich von dem Fremden ab und der Frau zu. »Hab ich dir nicht gesagt, du sollst dich raushalten?«, fuhr er sie mit barscher Stimme an und trat drohend auf sie zu.
Womit Falcon am allerwenigsten gerechnet hatte, war ein Angriff dieser fremden Frau. »Laufen Sie«, zischte sie wieder und stürzte sich auf den Anführer der Gang. Sie kämpfte wie ein Streetfighter. Ihr Knie traf den Kerl so hart im Unterleib, dass es ihm die Beine wegriss und er auf seinem Allerwertesten landete. Mit einem gekonnten Tritt stieß sie ihm mit der Fußkante das Messer aus der Hand. Der Mann heulte auf vor Schmerz, als ihr Fuß sein Handgelenk traf und die Klinge seiner Hand entglitt. Ein weiterer Tritt von ihr beförderte das Messer über den Gehweg in den Rinnstein.
Dann fuhr die Frau herum und rannte in die finstere Gasse hinein, wo sie augenblicklich mit der Dunkelheit verschmolz. Ihre Schritte waren leicht und selbst für Falcons scharfes Gehör fast vollkommen geräuschlos. Er wollte sie nicht aus den Augen verlieren, aber der Rest der Gang rückte näher. Ihr Anführer fluchte lautstark, schwor, der Frau das Herz herauszureißen, und brüllte seine Freunde an, »den Touristen kaltzumachen«.
Falcon wartete schweigend ab, als die Burschen aus verschiedenen Richtungen auf ihn zukamen und dabei Baseballschläger und Bleirohre schwangen. Sowie sie
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