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Traeume ernten

Traeume ernten

Titel: Traeume ernten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lidewij van Wilgen
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Anrichte und schreibe die Nummer des Fasses, die Rebsorte und die Anzahl Hektoliter auf kleine Etiketten. Ich lecke an der gummierten Rückseite der Etiketten, es schmeckt nach einer vergangenen Zeit.
    Die ersten Proben lassen sich ganz einfach nehmen, die Fässer aus Kunstharz haben zu diesem Zweck einen kleinen Kran, einen dégustateur . Ich fülle zunächst ein Glas, probiere den Wein, schreibe meine Beobachtungen ins Kellerbuch, dann fülle ich das Fläschchen. Schließlich komme ich zu den Betonfässern. Die ersten beiden haben einen dégustateur , aber am letzten Fass wurde immer noch keiner angebracht. Verärgert nehme ich mir eine der Aluminiumleitern, um auf das Fass zu klettern. Ich muss mich beeilen, gleich steht Xavier vor der Tür. Also öffne ich einen der großen Betondeckel, lasse ein Fläschchen in einem Edelstahlhalter tief in den Wein sinken. Als ich mit den drei Fässern fertig bin, denke ich eine Sekunde lang, dass ich vielleicht meine Hände lieber frei haben sollte, wenn ich nach unten steige. Aber ich habe es eilig. Ich setzte einen Fuß auf die Leiter und lehne mich dann weit nach links, um nach den Fläschchen zu greifen, die auf dem Fass nebenan stehen.
    Es ist immer wieder erstaunlich, wie langsam man fällt. Schon in der ersten Sekunde registriere ich die Unausweichlichkeit dessen, was geschehen wird. Ich habe mich nur einen Zentimeter zu weit vorgebeugt, und die Schwerkraft hat gewonnen. Ich stelle mir vor, wie sich die Bewegung fortsetzen wird, und auch, wo das enden wird. Okay, denke ich nur.
    Zuerst schlage ich auf einer Holztonne auf. Ich fühle den Metallrand wie einen Stoß in die Seite, dann falle ich in einem anderen Winkel weiter, jetzt nur noch ganz kurz. Als ich aufstehe, schmerzt meine Seite. Ich ziehe mein Hemd nach oben, nur Schürfwunden, nichts passiert.
    In der Nacht spüre ich eine leichte Irritation an der Seite, die am folgenden Morgen zu einem dumpfen Schmerz angeschwollen ist. Von meinem Büro aus rufe ich jetzt doch Bistué, meinen Hausarzt, an, der mich nach der Behandlung zum Röntgen ins Krankenhaus schickt.
    Â»Schauen Sie hier«, sagt der Arzt in der Klinik in Béziers, während er ein fleckiges Negativ vor den Leuchtkasten klemmt, »eine innere Blutung. Es ist nichts Ernstes, sollte aber schnell behandelt werden.« Einen Spezialisten gibt es in Montpellier. Der Arzt greift zum Telefon und vereinbart noch für denselben Mittag einen Termin.
    Die »Clinique du Parc« liegt in einem Vorort von Montpellier, einer schönen Gegend an einem breiten Fluss mit einer üppigen Vegetation. Die Klinik steht auf einem Hügel und ist in den Siebzigerjahren errichtet worden, in einer Zeit, in der Tageslicht und ein freier Blick offensichtlich nicht so wichtig waren. Ich gehe durch die schmalen, von Neonlicht beschienenen Gänge, in denen sich eine cremefarbene Tapete im Waffelmuster mit einer Vertäfelung in einem aufdringlichen Grün abwechselt. Alle Ecken und Leisten sind abgerundet, nirgendwo gibt es ein Fenster, ich bewege mich durch eine Tupperdose. Nachdem ich drei Mal durch denselben Gang gelaufen bin, finde ich hinter einer Tür ein Wartezimmer. Auf einer der Türen steht der Name des Arztes, bei dem ich den Termin habe. Ich bin recht schnell an der Reihe.
    Das Behandlungszimmer ist in einem krassen, zum Orange tendierenden Gelb gestrichen – ein verzweifelter Versuch, die Abwesenheit von Fenstern zu kompensieren. »Ich habe mir diese Farbe nicht ausgesucht!«, sagt der Arzt, der sieht, wie meine Pupillen sich in dieser Sonnigkeit weiten, »ich teile mir das Zimmer mit jemand anderem.«
    Der Mann ist groß und hat dunkles Haar, ein wenig abstehende Ohren und auffallend muskulöse Oberarme. Als sich unsere Blicke begegnen, steigt so etwas wie Verwirrung in mir auf. Er bietet mir einen Stuhl an und sinkt auf seinen – schaut mich wieder an und lächelt. Ich bin froh, dass ich ihm die Rönt genaufnahme aus Béziers zeigen kann, die er entgegennimmt, um damit in die andere Ecke des Zimmers zu gehen. Dort hängt über einem Behandlungstisch ein Leuchtkasten an der Wand. Kurz gleiten seine Augen über die Aufnahme, dann betrachtet er die Blutung. »Das kann ich gut behandeln«, sagt er. »Sehen Sie, ich gehe hier mit einem dünnen Schlauch hinein«, er zeigt auf seine Leiste, »dann komme ich an dieser Stelle aus.« Er zeigt auf eine Ader am

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