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Traeume ernten

Traeume ernten

Titel: Traeume ernten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lidewij van Wilgen
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blassrosa Hemd macht sich sogar Notizen. Ich versuche, es einfach zu halten, wenn sie meine Analyse akzeptieren, folgt der Rest von selbst: wenn A, dann B, dann C, und selbstverständlich muss das dann Strategie X nach sich ziehen!? Und da kommen auch schon die Jungs, die den kreativen Teil vorstellen – große Tafeln aus festem Styropor werden auf den Tischen ausgelegt und mit großen Gesten präsentiert. Die Herren am Tisch richten sich auf – endlich, jetzt wird es interessant.
    Zufrieden betrachte ich das Schauspiel, wohl wissend, dass alles passt. Schließlich haben wir vorher all das gemeinsam begutachtet und ausführlich besprochen, in langen Diskussionen in verrauchten Zimmern voll bekritzelter Papiere und zerknüllter Plastik-Kaffeebecher. Draußen klopfen wir uns gegenseitig unbeholfen auf die Schultern und gehen vor Erleichterung laut redend die Gracht entlang zu einem Café, wo wir gemeinsam essen werden.
    Es war nie mein Wunsch gewesen, in der Werbung zu arbeiten. Als Kind wollte ich Archäologin werden. Doch diese Idee gab ich auf, als sich herausstellte, dass meine sorgfältig freigelegten Grabungsfunde Stücke eines Abwasserrohres waren. Danach beschloss ich, dem Vorbild meiner Eltern und meiner Tante Carla zu folgen, denn sie alle hatten sich schließlich für die Kunstakademie entschieden, und das, obwohl sie aus guten Familien mit einer vorhersehbaren Zukunft kamen. Ich erinnere mich noch gut an die samtenen Zigarrenkisten meines Großvaters, den neuen Mercedes, der alle zwei Jahre in seiner Garage stand, an meinen anderen Großvater, der immer einen Hut trug, den er abnahm, um die Damen auf der Straße zu grüßen.
    Ich kenne nicht viele Menschen, die sich selbst immer so treu geblieben sind wie mein Vater Rex. Da er realistisch genug war, nicht im Dachzimmer auf seinen Durchbruch als Künstler zu warten, nahm er einen Job bei einem großen Chemie-Unternehmen an, wo er schon bald eine Managementfunktion innehatte. Doch kaum wurde »der Laden« geschlossen, warf er seine Anzüge in die Ecke und kehrte zu seinen Skulpturen zurück, später zu seinem Segelboot. Auf einer Weihnachtsfeier der Firma fiel mir auf, dass Rex außer dem Weihnachtsmann der Einzige war, der einen Bart trug und einen Rollkragenpulli anstelle einer Krawatte. Es war mir egal: Er war der Maßstab, nicht die anderen. Abends im Bett wartete ich immer ungeduldig, dass er mir einen Kuss gab, und wenn ich ihn darum bat, machte er auch noch einen Handstand gegen meinen Schrank.
    Als ich acht Jahre alt war, trennten sich meine Eltern. Wie vernünftige Erwachsene es eben tun, hatten sie sich nie im Beisein der Kinder gestritten, sodass alles, was ich bisher glaubte, von der Welt verstanden zu haben, wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrach. Das also waren die beiden Menschen, die im Auto so herzlich miteinander lachen konnten, die vor dem Kamin Sherry tranken, während sie der Filmmusik aus »Der Clou« lauschten. Wenn das kein deutliches Zeichen dafür war, dass alles gut war, was dann?
    Jahrelang war ich anschließend ständig auf der Hut, weil ich fest davon überzeugt war, dass nichts so ist, wie es scheint, dass einem der Boden jederzeit unter den Füßen weggezogen werden kann.
    Mein jüngerer Bruder Michiel und ich blieben bei meiner Mutter Simone, die sich nicht so leicht unterkriegen ließ. Alleinerziehend – na und! Sie suchte sich einen Job bei einer Fluggesellschaft, sodass wir zweimal im Jahr umsonst verreisen konnten, vorausgesetzt, dass kurz vor Abflug noch Plätze frei waren. »Mein Gott, Mama, kann nicht mal irgendwas ganz normal ablaufen?«, fragte Michiel, als alle Touristen bei ihrer Ankunft in den Bus stiegen, während wir auf der rostigen Rückbank eines alten Pick-ups von der Landebahn gefahren wurden.
    Â»So ist es doch erst ein richtiges Abenteuer!«, sagte sie lachend mit im Wind flatternden Haaren. Dann versuchte sie verzweifelt, die auf und ab hüpfenden Koffer zwischen ihren Beinen einzuklemmen. Sie fand ein frei stehendes Häuschen auf Kreta, direkt am Strand, wo wir den ganzen Tag umsonst Wasserski fahren durften, um andere Touristen anzulocken. Über Bekannte organisierte sie in Spanien ein kleines Penthouse mit einem eigenen Schwimmbad. Nachts lagen wir auf dem Dach, um zu den Sternen hinaufzuschauen. In Marokko nahm sie uns mit in die Altstadt von Tétouan, wo sie mit einem charmanten

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