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Zwergenkinder (04) - Der Kristall der Zwerge

Zwergenkinder (04) - Der Kristall der Zwerge

Titel: Zwergenkinder (04) - Der Kristall der Zwerge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Bekker
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Schattenbringer und Weltenriss
    V orsicht!«, rief Lirandil aufgeregt.
    Dass der sonst so ruhige Fährtensucher derart besorgt reagierte, hatte seinen Grund. Es ging um sein Elbenpferd, das über eine wackelige Landungsbrücke aus brüchigem Holz von Bord eines Schiffes gehen sollte, welches gerade im Hafen von Hiros angelegt hatte.
    Einer der Seeleute wollte das Pferd an der Mähne fassen. Wie alle Elbenpferde trug es weder Zaumzeug noch Zügel, die Tiere reagierten allein auf die Gedanken ihres Herrn. Daher mochte das Pferd es gar nicht, an der Mähne gepackt zu werden. Mittlerweile war es völlig verunsichert. Es wieherte und schnaubte und wagte nicht, den nächsten Schritt zu tun.
    »Rührt es nicht an!«, rief Tomli den Seeleuten zu. Der Zwergenjunge stand neben Lirandil, der mit beruhigenden Gedanken auf das Tier einwirkte.
    »Kadremsa« hieß das kleine Schiff, mit dem Tomli und seine Gefährten die Überfahrt von der Insel Rugala zum Hafen von Hiros unternommen hatten. Der Name bedeutete in der Sprache der Rhagar so viel wie »Nussschale«. Sehr vertrauenerweckend wirkte er nicht auf die Passagiere.
    Aber er entsprach den Tatsachen: Die »Kadremsa« war wirklich kaum mehr als eine Nussschale. Sie hatte keine Aufbauten und nur ein einziges, nicht sehr großes dreieckiges Segel.
    Eigentlich war die »Kadremsa« gar nicht geeignet, um Pferde zu transportieren. Aber kein anderes Schiff hatte Tomli und seine Gefährten mitnehmen wollen. Und auch der Kapitän der kleinen »Nussschale« war nur dazu bereit gewesen, nachdem sie ihm einen Wucherpreis gezahlt hatten.
    Tomli murmelte eine Zauberformel, die das Holz, auf dem das scheue Elbenpferd stand, etwas stabiler machte. Es ächzte nämlich bedenklich.
    Endlich bewegte sich das Tier wieder vorwärts und gelangte schließlich an Land. Lirandil nahm es erleichtert in Empfang und tätschelte ihm den Hals.
    Das Elbenpferd von Olfalas, dem Schüler des Fährtensuchers, hatte die Prozedur noch vor sich. Aber Olfalas hatte zur Überraschung aller sein Pferd besser im Griff als sein Meister. Der rothaarige Halbelb sandte ihm einen energischen Gedanken, woraufhin es vollkommen ruhig über die Landungsbrücke schritt.
    »Die Schwierigkeiten kommen noch«, hörte Tomli das Zwergenmädchen Olba murmeln. Sie stand neben ihm und blickte schon die ganze Zeit über auf das Meer hinaus.
    »Damit meinst du hoffentlich nicht, dass du jetzt doch noch seekrank wirst«, sagte Tomli.
    »Nein, das kann nicht passieren«, erwiderte sie. Auf Rugala hatte sie von König Wendur persönlich ein Döschen mit einem Pulver erhalten, das gegen Seekrankheit oder schädliche Einflüsse von Wassergeistern auf das Wohlbefinden wirkte.
    Sie deutete zur Sonne und blinzelte. »Dort!«, sagte sie.
    Tomli formte mit der Hand einen Schirm, um seine Augen vor der Helligkeit zu schützen. Doch das brauchte er schon einen Moment später nicht mehr. Ein dunkler, runder Schatten erschien auf einmal und verdeckte den größten Teil der Sonne.
    »Ich habe es vorausgesehen«, flüsterte Olba. Das Zwergenmädchen schüttelte tief betroffen den Kopf. Gleichzeitig war sie jedoch genauso erstaunt wie alle anderen im Hafen von Hiros. Das, was sich am Himmel ereignete, war einfach unfassbar. Selbst der Elb Lirandil hatte so etwas in seinem langen Leben noch nicht gesehen.
    Es wurde dunkel. Die Sonne war nur noch ein schmaler Lichtkranz, und die Sterne leuchteten, obwohl es eigentlich helllichter Tag hätte sein müssen. Auch der Mond war auf der anderen Seite des Himmels zu sehen.
    Demnach konnte dies keine gewöhnliche Sonnenfinsternis sein, wie sie ab und zu vorkam, dessen war sich Tomli sicher. Er hatte schon einmal eine Sonnenfinsternis erlebt. Zusammen mit Saradul, seinem Lehrmeister in der Zauberkunst, hatte er damals durch magische Linsen geschaut, durch die man weit entfernte Dinge aus der Nähe betrachten konnte. Er erinnerte sich noch genau. Meister Saradul hatte ihm erklärt, dass sich der Mond für kurze Zeit vor die Sonne schob, sodass sein Schatten auf die Erde fiel.
    Aber hier passierte etwas anderes. Er schauderte.
    Eisiger Wind kam auf, und gleichzeitig bildeten sich auf dem Ozean Blasen, als würde das Wasser anfangen zu kochen. Sie formten eine Linie in jene Richtung, aus der Tomli und seine Gefährten gerade gekommen waren: zur Insel Rugala!
    »Das ist der Weltenriss!«, entfuhr es Meister Saradul.
    Der Zwergenzauberer mit dem zu Zöpfen geflochtenen Bart schob sich den Helm in den Nacken.

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