Traeume von Fluessen und Meeren
ich mehr als einmal tiefen Neid empfunden habe auf die wunderbare Ehe, die sie geführt haben, eine Partnerschaft, die sie in die ganze Welt geführt und sie in vielen schwierigen Situationen zusammengehalten hat. Ich glaube, wir können uns alle vorstellen, wie schwierig es für Helen nach Alberts Tod gewesen sein muss.«
Es war das erste Mal, dass Paul so eine Rede vor einer kirchlichen Gemeinschaft hielt. Er fühlte sich durchaus wohl dabei, war sogar von seinen eigenen Worten gerührt.
»Dennoch kann ich nicht glauben, dass ihr frühzeitiges Dahinscheiden geplant war. Noch am Tag ihres Todes hat Helen mir von ihren Plänen erzählt, nach Bihar zu gehen und dort in einem kleinen Krankenhaus zu arbeiten. Sie hat sich sogar ziemliche Mühe gegeben, mich davon zu überzeugen, dass es gut und richtig wäre, wenn ich ein bisschen von meiner Zeit opfere, um ebenfalls dort zu helfen. Ich habe keinen Zweifel, dass es ihrmit diesem Vorhaben ernst war und dass sie das, was in ihrer Todesnacht geschehen ist, in einem Moment der Verzweiflung getan hat.« Paul zögerte kurz. »Als Tribut an Helen habe ich mir geschworen, ihrem Vorschlag zu folgen und mindestens ein Jahr in Bihar zu verbringen. Natürlich werde ich bei Weitem nicht so eine große Hilfe sein, wie sie es gewesen wäre, aber ich verspreche, mein Bestes zu geben.«
»Gequirlte Scheiße«, flüsterte John Elaine zu. Er fiel nicht in das dünne Klatschen ein, als Paul vom Podium stieg.
»Willst du nichts sagen?«, fragte Elaine. Der Amerikaner war der Dritte, der das Podium betreten hatte. Das Mädchen schien genauso besorgt um den korrekten Ablauf der Zeremonie zu sein, wie John es sechs Monate zuvor bei der Trauerfeier seines Vaters gewesen war.
»Nein.«
»Meinst du nicht, die Leute werden das komisch finden?«
John zuckte die Achseln.
Jetzt erklärte Dr. Coomaraswamy, dass zwei große Geister, wenn sie zusammen auf der Erde lebten, die Tendenz hätten, sich unterschiedlich zu entwickeln, um sich gegenseitig zu ergänzen und zu vervollständigen. Wenn einer starb, entstand auf beiden Seiten des großen Grabens, unten auf der Erde und oben im Äther, ein Ungleichgewicht und eine Sehnsucht.
»Gequirlte Scheiße«, flüsterte John erneut.
»Gar nicht, das hört sich sehr schön an.«
»Angesichts der seltsamen Art ihres Dahinscheidens«, schloss Coomaraswamy und senkte den Kopf, um über seine randlosen Brillengläser hinweg die kleine Versammlung anzuschauen, »bin ich nicht sicher, dass es ein Akt der Verzweiflung war. Ich bin mir nicht sicher, dass wir traurig sein müssen. Die Theosophie lehrt uns, dass die Meister uns in unseren Handlungen leiten und unsere tiefsten Bedürfnisse kennen.« Er schwieg kurz. »Dieser Fluss ist nun ins Meer gemündet.«
»Schönheit hat nichts damit zu tun«, murmelte John.
»Du solltest auch etwas sagen, John«, wiederholte Elaine. »Sie war schließlich deine Mutter.«
»Nein.«
Kulwant Singh ging im Stechschritt eines Kriegers zum Podium. »Meine Damen und Herren.« Er wandte sich nach links und nach rechts, presste die Fäuste aneinander und dann an seine Brust. »Freunde. Ich bin sehr bekümmert über das, was passiert ist. Und auch sehr wütend. Ich kann euch gar nicht sagen, wie bekümmert ich bin. Helen war eine sehr schöne Frau. Ja, sie war auch sehr witzig. Voller Leben. Manchmal haben wir nach der Arbeit zusammen einen Whisky getrunken. Ich kenne sie schon sehr lange. Fünf Jahre. Manchmal haben wir nach einer Nachtschicht zusammen gefrühstückt. Helen hat gerne gelacht, und sie mochte gute Witze. Sie war kein Snob. Sie war auch nicht zimperlich. Viele Jahre lang hat diese Frau hart gearbeitet, um Menschen zu helfen, sie hat den Ärmsten geholfen und nichts dafür verlangt. Ich glaube, sie wurde auch nicht dafür bezahlt. Sie hat nicht mal Bewunderung verlangt. Das ist ungewöhnlich. Sie hat keine Medaillen verlangt. Wie viele Leute sind bereit, so viel zu geben und so wenig zu verlangen? Gar nichts zu verlangen? Ihr Tod ist sehr tragisch und sehr dumm. Und ich bin sehr wütend darüber, dass ich, Sie, alle, die Helen kannten, das Geschehene nicht haben kommen sehen. Wir hätten es verhindern müssen. Helen war eine verschwiegene Frau. Sie schätzte ihre Privatsphäre. Sie hat nicht oft ausgesprochen, was ihr durch den Kopf ging; sie gab sich als starke Frau, die nicht um Hilfe oder Mitleid bittet, aber wir hätten es sehen müssen. Es ist für uns alle eine Schande. Helen hatte noch so viel, für das es
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