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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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geschlagen und getreten, wie der Polizist behauptet hatte? Wie hätte er mit diesen blöden Klinikhausschuhen jemanden treten sollen? Der Schmerz in seinem Gehirn blühte auf. Er hatte eine dunkelrote Farbe und war wie eine Blume, die sich auf dem Wasser öffnet, die Spiegelung bricht und die Strömung hemmt. Es kam nicht infrage, dem Amerikaner den Brief zu geben.
    »Ich möchte meine Rechnung bezahlen«, verkündete John ruhig.
    »Sehr gut, Mr. James.«
    Die Frau öffnete eine Mappe und holte ein Blatt Papier hervor, auf dem verschiedene Dinge handschriftlich aufgelistet waren: wie oft er gefrühstückt hatte, die Durchfallpillen, die das Hotel für ihn gekauft hatte, die Bananen. Sie gab Zahlen in einen kleinen Taschenrechner ein. Ihre Fingernägel waren grün, die Ärmel ihres Sari fielen pfirsichfarben über ihre milchig braunen Handgelenke. Wie immer stand die Schüssel mit den schwimmenden Blütenblättern neben ihrem Ellbogen auf der Theke. Auch wenn es andere waren, dachte John, waren die farbigen Muster immer gleich. Während die Hotelchefin die Geldscheine zählte, betrachtete er die pointillistische geometrische Form auf der durchsichtigen Haut des Wassers. Welcher Logik folgte sie? Was, wenn die Blütenblätter etwas Hässliches verbargen, das unter der Oberfläche lag?
    Die Hotelbesitzerin lächelte, als sie sein Geld in eineSchublade legte. Sie musste mit dem Schlimmsten gerechnet haben, als er verschwunden war. Jetzt war sie in großzügiger Stimmung. »Ihr Zimmer wurde für einen anderen Gast geräumt, Mr. James«, sagte sie. Ihr plumpes Gesicht war warm und mütterlich. Die üppigen Lippen lächelten schmollend. »Wir haben alles in Ihre Tasche gepackt. Bitte überprüfen Sie das, bevor Sie gehen. Sie müssen es sagen, wenn etwas fehlt.« Sie hob den Telefonhörer und sagte kurz angebunden etwas auf Hindi.
    John hätte sich am liebsten noch ein bisschen Zeit genommen, um mit der Frau zu reden. Er hatte sich von Anfang an zu ihr hingezogen gefühlt, wurde ihm jetzt klar. Sie war höflich und geschäftsmäßig in ihrem Sari, mit ihren reich verzierten Armreifen, und ihre Diskretion an sich suggerierte schon eine Art Vertrautheit, so als wolle sie, gerade indem sie nicht auf die Schwierigkeiten einging, die sein Aufenthalt mit sich gebracht hatte, zu verstehen geben, dass sie sie wahrgenommen hatte und bereit war zu helfen. John schaute zu, wie sie eine letzte Notiz schrieb und sich dabei eine feine Haarsträhne aus dem Gesicht strich – wie hübsch der strahlende Stein in ihrem Nasenflügel auf der dunklen Haut aussah –, sagte aber schließlich nichts, und dann war ein älterer Mann erschienen und hatte seine Tasche gebracht. John gab ihm zwanzig Rupien. »Bitte überprüfen Sie alles jetzt, Sir«, warnte ihn die Hotelbesitzerin. »Ich möchte nicht hören, dass etwas fehlt.«
    John setzte sich auf das niedrige Sofa im Foyer und machte seine Tasche auf. Seine Kleidung, obschon ungewaschen, war säuberlich gefaltet. Sein Waschzeug war zusammengesammelt und in der vorgesehenen Tasche verstaut worden. Jetzt wäre vielleicht die Gelegenheit, den Computer zu erwähnen, dachte er, und das Telefon und das Paschminatuch. Er tat es nicht. Während er unkonzentriert seine paar Sachen durchsah, wurde ihm bewusst, dass er sich eigentlich darauf gefreut hatte, in sein Zimmer zu gehen und alles selber zu sortieren, oder sichvielleicht einfach für ein paar Minuten aufs Bett zu legen und auszuruhen.
    Dann fand John, als er die Seitentasche aufzog, das Wäschereiformular mit der Zeichnung von seinem Vater. Also wurde es doch nicht gestohlen! Er betrachtete die grobe Skizze. Er hatte vergessen, dass er seinen Vater im Sarg porträtiert hatte; er hatte ihn sogar unter schlangenlinienförmigem Wasser dargestellt. Ich habe den Leichnam nicht gesehen, aber ich habe ihn gezeichnet. Ich habe ihn begraben. Verstört faltete John das Blatt zusammen und stopfte es zu dem Brief seiner Mutter in seine hintere Hosentasche. Er zog den Reißverschluss seiner Reisetasche zu und stand auf.
    »Vielen Dank, dass Sie meine Sachen gepackt haben«, sagte er zur Hotelbesitzerin. »Das war sehr freundlich.«
    »Gern geschehen, Sir«, sagte sie.

    In der Wohnung seiner Mutter wartete John einfach darauf, dass der Amerikaner ging. Er wollte ihn loswerden. Paul hatte erwähnt, er wolle in ein Hotel ziehen. »Ich möchte euch jungen Leuten nicht im Weg sein, aber wenn ihr etwas braucht, bin ich gleich um die Ecke.« Seine Handynummer und die

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